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Todgeweiht im Münsterland - Westfalen-Krimi

Todgeweiht im Münsterland - Westfalen-Krimi

Titel: Todgeweiht im Münsterland - Westfalen-Krimi
Autoren: emons Verlag
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vier Tage zu leben hat?
    Die verbleibenden
Nächte durch die Straßen ziehen, sich betrinken und sein Geld verprassen?
Bedeutungsschwangere Abschiedsessen veranstalten und sich von der
Verwandtschaft trösten und beweihräuchern lassen? Oder gar ein
schwindelerregend hohes Gebäude besteigen, um dem Himmel schon jetzt ein Stück
näher zu kommen und die Zeitspanne von vier Tagen auf eine Stunde zu
verringern?
    Ich hatte die Qual
der Wahl. Und wissen Sie, welcher Gedanke mir als Erstes zu schaffen machte?
Was, wenn ich krank würde? Wenn ich einen von diesen ekligen Magen- und
Darminfekten bekäme und zwei von den vier Tagen über der Kloschüssel verbringen
müsste? Jemand anders konnte sagen, okay, dafür wird das Wochenende halt schön,
doch ich hatte nur noch vier Tage. Eine Krankheit mit einer Inkubationszeit von
mindestens vier Tagen konnte mir natürlich nichts anhaben. Bei Licht
betrachtet, gab es sogar Vorteile: Die Ärzte könnten bei mir heute den größten
Tumor feststellen und bösartige Krebszellen ausmachen, es wäre völlig egal. Ich
konnte über den Zusammenbruch unseres Rentensystems herzlich lachen und meinen
Zahnarzttermin in zehn Tagen absagen.
    Sie fragen sich
jetzt bestimmt, warum ich in vier Tagen sterben werde, oder konkreter, woran
ich sterben werde. Ich klinge ganz munter und gewiss nicht sterbenskrank. Das
bin ich auch nicht. Ich bin einundvierzig Jahre alt, ein Meter siebenundachtzig
groß und schlank, auch wenn ich seit drei Jahren gegen eine Neigung zum
Bauchansatz ankämpfe. Leider ist mein Programm etwas einseitig, das heißt, ich
betätige mich sportlich, esse aber nicht weniger. Ich habe volles Haar; bekäme
ich heute Morgen Haarausfall, dann könnte man mich dennoch in vier Tagen mit
einem üppigen Schopf schwarz-grauer Haare beerdigen. Mir schwante mitunter,
dass mich einige Frauen trotz zahlreicher Unstimmigkeiten erst nach zwei Jahren
verlassen haben, damit sie noch länger mit ihren zarten Händen durch meine
Nackenlocken fahren konnten. Zumindest taten sie das alle bis zum letzten Tag
der Beziehung.
    Warum ich so
offensichtlich bindungsunfähig bin, habe ich eigentlich nie verstanden, bis
meine Mutter es mir vor zwei Jahren erklärt hat. Als ich ungefähr drei Jahre
alt war, hatte sie mich versehentlich fallen lassen, und ich musste mit einer
Gehirnerschütterung drei Tage lang im Bett bleiben. Seitdem würde ich wohl
keiner Frau mehr vertrauen. Da aber Vertrauen ein Meilenstein in einer festen
Beziehung sei, käme ich niemals über die Phase der ersten Verliebtheit hinaus.
Bei jeder nahenden Beziehung würde ich, so meine Mutter, plötzlich den Rückzug
antreten, eine Frau müsste schon bahnbrechende Beweise ihrer Liebe liefern,
damit ich ihr Vertrauen und Nähe entgegenbringen könnte.
    Ich war ganz schön
erleichtert über diese Erklärung, hatte ich doch schon leise erwogen, dass ich
mich ändern müsste. Nun war ich ja gar nicht schuld an dem Schlamassel. Noch
heute könnte ich eine richtig feste Beziehung beginnen, mit allen Schikanen,
vier Tage lang, das würde selbst ich schaffen.
    Erwähnen möchte
ich zur Vervollständigung meines Steckbriefs vielleicht noch meine Nase und
meinen Mund. Die Nase hat so eine aristokratische Neigung nach unten und ist
dabei schmal und gerade, und meine Lippen haben ebenfalls einen gefälligen
Schwung. Ich habe mal irgendwo gelesen, dass Richard Gere einen sinnlichen Mund
hat, und meiner sieht so ähnlich aus. Also sinnlich.
    Beruflich werde
ich enden als Cheflektor eines mittelgroßen Verlages, der immerhin so bekannt
ist, dass viele Leute bei der Erwähnung des Namens entzückt ausrufen: »Echt?
Darf ich Ihnen mal mein Erstlingswerk zum Lesen mitgeben?« An dieser Stelle
lösen sich dann viele Bekanntschaften auf. Ich lese immer die ersten sechs
Seiten und gebe ein Feedback. Viele können mit Kritik nicht gut umgehen. Doch
angesichts langatmiger, egomanischer Autobiografien kann ich mein berufliches
Ego schlecht hinter einem freundlichen Nachbarschaftslächeln verbergen.
    Sollte man noch
arbeiten gehen, wenn man nur noch vier Tage zu leben hat? Nein. Sicher nicht.
Ich überlegte weiter. So kurz vor der Frankfurter Buchmesse hatten wir eine
Urlaubssperre, also musste ich mich krankmelden. Ich fand, die Umstände erlaubten
diese kleine Notlüge, die, psychologisch betrachtet, eigentlich gar keine Lüge
war. Meine Befindlichkeit kam einem seelischen Ausnahmezustand sehr nahe, und
dieser machte ein konzentriertes Arbeiten unmöglich.
    Woran
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