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Todfeinde

Todfeinde

Titel: Todfeinde
Autoren: authors_sort
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daran zu denken, wie Stella aussehen mochte, wenn man sie endlich fände. Schon die Vorstellung ließ ihn schaudern. Es würde sich vermutlich nicht mehr nachweisen lassen, dass ihr vor dem Ertrinken Verletzungen zugefügt worden waren, und darauf würde sich Hand zweifellos berufen.
    Tassells Leute hatten in Shane Suhns Büro in Beargrass Village einen Empfänger entdeckt, dessen Frequenz mit der des Senders in Wills Pick-up übereinstimmte. Außerdem waren dort Tonbänder mit Mitschnitten von Jensens Funkverkehr gefunden worden. Die Ermittler hatten sich vom Telefonanbieter ein Verzeichnis aller Telefonate geben lassen, die der Bauunternehmer in letzter Zeit geführt hatte. Joe sah die Liste durch. Der interessanteste Eintrag war ein Anruf, den Ennis gleich nach dem Telefonat mit Pi und Birdy erhalten hatte und in dem Randy Pope ihn dringend bat, sich sofort bei ihm zu melden. Zum Glück war Ennis da schon auf dem Weg zum Fotoladen gewesen.
    »Ich kann mir gut vorstellen, dass Ennis binnen eines Jahres wieder auf freiem Fuß ist«, sagte Mary.
    Joe zuckte hilflos mit den Achseln.
    »Aber es sieht ganz danach aus, dass es kein Beargrass Village geben wird«, fuhr sie fort, und ihre Miene verriet erstmals, was sie von dem Vorhaben hielt, »denn Pete Illoway hat sich aus dem Projekt zurückgezogen. Ohne seinen Segen wäre das Ganze nur eine weitere sündteure Siedlung, und von denen gibt es in Jackson schon mehr als genug.«
    Joe wusste nicht, was er dazu sagen sollte, und nahm seine Kiste vom Tresen. »Ich hab mir einen Wagen gemietet, bis ich einen neuen Pick-up bekomme. Der Bezirksstaatsanwalt braucht Wills Auto als Beweismittel.«
    Sie sah auf. »Werden Sie zurückkehren?«
    »Meinen Sie zum Prozess oder für immer?«
    »Für immer.«
    Er sah weg. »Ich weiß nicht, wo ich landen werde.« Er dachte an Popes Drohungen; er wusste, dass seine berufliche Zukunft vermutlich davon abhing, wer Gouverneur wurde. »Ich bin noch immer suspendiert.«
    »Hoffentlich kommen Sie zurück.« Ihr sanfter Blick rührte ihn. »Ich denke, Sie sind ein anständiger Mensch.«
    Nicht so sehr wie du glaubst, Mary, dachte Joe.
    »Jetzt muss ich aber wirklich nach Hause«, sagte er und verließ mit seiner Kiste das Gebäude.
    Als das Wapiti-Rückzugsgebiet an ihm vorbeizog, dachte Joe, wie seltsam es war, mit einem gemieteten Kleinwagen unterwegs zu sein, statt wie sonst mit einem Pick-Up der Jagd- und Fischereibehörde. Es fühlte sich an, als säße er direkt über dem Asphalt, und wenn er in den Rückspiegel sah, waren nur die Kühler und Scheinwerfer der Fahrzeuge hinter ihm zu erkennen, nicht aber deren Fahrer.
    Während seiner Heimreise ließ er Revue passieren, was sich in Jackson zugetragen hatte. Er war maßgeblich daran beteiligt gewesen, einen Multimillionär zu Fall zu bringen und eine Siedlung der Gutfleischbewegung zu verhindern, und er hatte dabei den guten Ruf eines Jagdaufsehers zumindest teilweise wiederherstellen können – und einen Menschen getötet, gegen den er nicht das Geringste gehabt hatte. Nun kehrte er mit seiner Suspendierung nach Saddlestring zurück, hatte hinsichtlich seiner Gefühle für Stella noch immer ein schlechtes Gewissen und saß in einem Kleinwagen, für den schon mittlere Steigungen eine Herausforderung bedeuteten. Aber er konnte es kaum erwarten, nach Hause zurückzukehren, und hatte das Gefühl, ein ganzes Jahr fort gewesen zu sein.
    Der Anblick der gleißenden weißen Tetons im Rückspiegel tröstete ihn so wenig wie der Gedanke, dass Ennis aufgrund der Winkelzüge eines berühmten Anwalts vermutlich weitgehend ungeschworen davonkäme.
    Als Joe nach dem Trauergottesdienst für Will Jensen dem Sheriff von Jackson begegnet war, hatte Tassell gesagt: »Es gibt hier Leute, die meinen, sie müssten sich nicht an die Regeln halten.« Später hatte Smoke Van Horn alles ein großes Spiel genannt. Beide, fand er, hatten recht.
    Er stellte sich Marybeth, Sheridan und Lucy vor. Wie wenig er in letzter Zeit an sie gedacht hatte! Er hatte sein eigenes Leben gelebt und seine Kämpfe ohne sie ausgefochten – und wäre dabei fast vom Kurs abgekommen. Joe hielt am Straßenrand und vergrub das Gesicht in den Händen.
    Er konnte sich nicht erinnern, sich jemals so klein gefühlt zu haben.

39. KAPITEL
    Am Nachmittag bog Joe von der Bighorn Road ab. Der Anblick seines Zuhauses erfüllte ihn mit beklommener Freude. Lucys Fahrrad stand im Hof; Toby wieherte ihm von der Koppel her zu; auf dem Rasen lag Laub, das
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