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Todeswunsch - Robotham, M: Todeswunsch - Bleed For Me

Todeswunsch - Robotham, M: Todeswunsch - Bleed For Me

Titel: Todeswunsch - Robotham, M: Todeswunsch - Bleed For Me
Autoren: Michael Robotham
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und unkoordiniert, statt einer Brille trägt er Kontaktlinsen, die seine normalerweise blassen Augen dunkler aussehen lassen.
    Er trägt ein langärmeliges Hemd und Jeans, spitze, modische Schuhe und das Haar steif nach oben gegelt. Ich kann mir vorstellen, wie er sich auf die Anhörung vorbereitet und sich mit seiner Erscheinung besonders viel Mühe gegeben hat, weil er weiß, wie wichtig es ist, möglichst gut auszusehen.
    Vor dem Fenster liegt ein von Mauern umgebener Hof mit Topfpflanzen und kleinen Bäumen. Ein Dutzend Patienten sind dort draußen, um sich die Beine zu vertreten, jeder abgekapselt in seiner eigenen Welt, ohne die Präsenz der anderen wahrzunehmen. Einige machen ein paar Schritte in eine Richtung, bleiben stehen, als hätten sie sich verirrt, und gehen dann ein paar Meter in eine andere. Andere marschieren mit pendelnden Armen den gesamten Umfang des Hofes ab wie auf einem Exerzierplatz. Ein junger Mann scheint sich an irgendein Publikum zu wenden, während ein anderer unter eine Bank gekrochen ist, als suche er Schutz vor einem imaginären Sturm.
    Dr. Naparstek redet immer noch.
    »In den Monaten, in denen ich Liam psychiatrisch betreut habe, habe ich einen jungen Mann mit Problemen kennengelernt, der sich ernsthaft bemüht, ein besserer Mensch zu werden. Er hat gelernt, seine Wut zu kontrollieren, und er hat seine soziale Kompetenz ungemein gesteigert. In den letzten vier Monaten hat er an unserem Hausgemeinschaftsprogramm teilgenommen und dort mit anderen Patienten zusammengelebt, die gemeinsam kochen, putzen, waschen und eigenverantwortlich Regeln aufstellen. Liam hat sich in dieser Gemeinschaft als ruhender
Pol bewährt – eine Führungsfigur der Gruppe. Kürzlich gab es einen kritischen Zwischenfall, bei dem ein mit einem Messer bewaffneter männlicher Bewohner sich mit einer Geisel hinter einer Tür verbarrikadierte. Erst nach fünf Minuten konnten die Sicherheitsleute sich Zugang zum Haus verschaffen, und bis dahin hatte Liam die Lage bereits entschärft. Es war wirklich erstaunlich.«
    Ich werfe einen Blick auf die drei Mitglieder des Anhörungsausschusses – einen Richter, einen Fachmediziner und einen Laien mit Erfahrungen im Bereich psychischer Erkrankungen – und frage mich, ob sie »erstaunt« aussehen. Vielleicht zeigen sie es nur nicht.
    Der Ausschuss muss entscheiden, ob Liam freigelassen wird. So ist der übliche Ablauf. Wenn ein Straftäter als geheilt oder fast geheilt gilt, kann er ein Resozialisierungsprogramm mit der Aussicht durchlaufen, irgendwann entlassen zu werden. Er wird zur weiteren Behandlung aus einem Hochsicherheitskrankenhaus in eine regionale forensisch-psychiatrische Klinik verlegt. Bei positiver Entwicklung bekommt er zunehmend mehr Freigang, zunächst auf dem Gelände der Klinik, später in den Straßen der Umgebung, anfangs in Begleitung, später allein.
    Ich bin in keiner offiziellen Funktion hier. Eigentlich sollte ich heute meinen halben Tag an der Bath University unterrichten, wo ich seit drei Jahren Psychologie lehre. So lange ist es her, seit ich meine Praxis aufgegeben habe. Vermisse ich sie? Nein. Sie lebt in mir weiter. Ich erinnere mich an jeden Patienten – die Ritzer, Trickser und Süchtigen, Narzissten, Psychopathen und Sexualstraftäter; diejenigen, die zu viel Angst hatten, in die Welt hinauszutreten, und die, die sie niederbrennen wollten.
    Liam war einer von ihnen. Und ich habe ihn letztlich hierhergebracht, weil ich empfohlen habe, ihn in einer psychiatrischen Klinik unterzubringen, anstatt ihn in eine reguläre Haftanstalt zu stecken.
    Dr. Naparstek ist fertig. Sie lächelt, flüstert etwas in Liams
Ohr und drückt seine Schulter. Liams Blick wird glasig, ist jedoch nicht auf ihr Gesicht gerichtet. Er guckt in den Ausschnitt ihrer Bluse. Sie nimmt wieder Platz und schlägt die Beine unter ihrem grauen Rock übereinander.
    Der Richter blickt auf. »Möchte sonst noch jemand vor dem Ausschuss sprechen?«
    Es dauert einen Moment, bis ich mich aufgerappelt habe. Manchmal machen meine Beine nicht das, was sie sollen. Mein Gehirn sendet Botschaften, aber sie kommen nicht an oder wie die Londoner Busse alle auf einmal, sodass meine Gliedmaßen blockieren oder mich seitwärts, rückwärts oder manchmal auch vorwärts ziehen, als ob ich von einem schwachsinnigen Kleinkind ferngesteuert würde.
    Der Zustand ist als Parkinson bekannt – eine fortschreitende, degenerative, chronische, aber nicht ansteckende Krankheit, die bedeutet, dass ich mein
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