Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Todesträume am Montparnasse

Titel: Todesträume am Montparnasse
Autoren: Alexandra Grote
Vom Netzwerk:
möglich«, fuhr sie mit gepresster Stimme fort. »Wer einmal in der Gewalt solcher Menschen gewesen ist, vergisst ihre Gesichter sein Leben lang nicht.«
    Pascal Masson hatte keine Ahnung, wer die Gefängnisärztin war. Er erkannte sie nicht und hätte sich
sicher nicht träumen lassen, dass der Zufall sie hier zusammengeführt hatte.
    Hélène Clément, die durch die unfreiwillige Begegnung mit dem »großen Blonden« wieder Panikund Angstattacken bekam, sich nachts schlaflos im Bett wälzte und schreiend aus Albträumen erwachte, fasste einen Entschluss. Sie besorgte sich Massons Akte, brachte so seine Adresse im Zwölften Arrondissement in Erfahrung und wusste, wann er seine Strafe abgesessen haben würde. Auf diesen Tag bereitete sie sich vor. Auf den Tag der Rache. Den Tag, an dem Masson sterben sollte. Der Gedanke daran loderte in ihr wie eine Flamme. Sie wusste noch nicht, wie sie es anstellen würde. Mehrere Szenarien gingen ihr durch den Kopf, aber keines schien ihr angemessen als Sühne für seine Verbrechen.
    Vor einigen Wochen erfuhr sie bei einem Abendessen bei Christine Payan von den Aktionen der Sprayerfrauen. Die symbolische Kastration von Vergewaltigern - das brachte sie auf eine Idee. Sie würde über einen symbolischen Akt hinausgehen.
    »Sind Sie nie auf die Idee gekommen, Polizei oder Staatsanwaltschaft zu alarmieren?«, wollte der Ermittlungsrichter wissen. »Masson anzuzeigen, ihn der Justiz zuzuführen? Er wäre mit Sicherheit gleich nach Verbüßung seiner Haftstrafe dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag überstellt worden.«
    »Der Gedanke ist mir natürlich gekommen. Aber mein Vertrauen in Polizei, Justiz und Gerichte ist
nicht sehr groß. Außerdem wollte ich ihn persönlich konfrontieren. Ich wollte die Angst in seinen Augen sehen. Ich wollte …«, sie stockte. »Ich wollte ihn richten.«
    »Das haben Sie dann ja auch.« Couperin zündete sich eine Zigarette an und stieß heftig den Rauch aus. »Sie haben ihn nicht nur gerichtet, sondern auch eigenhändig hingerichtet.«
    Die Ärztin schwieg.
    »Dann kam der 20. Januar, Montag dieser Woche«, schaltete sich LaBréa ein. »Masson wurde entlassen. Was geschah dann?«
    »Ich wusste ja, dass er entlassen werden würde und hatte für diesen Tag einen Urlaubstag beantragt. Die Haftentlassungen aus der Santé finden gewöhnlich morgens gegen neun Uhr statt. Also wartete ich in einiger Entfernung vom Gefängnis in meinem Wagen und beobachtete den Eingang.«
    »Warum warteten Sie auf ihn?«
    »Zufällig hatte ich mitgehört, wie zwei Wärter einige Tage zuvor über Masson sprachen. Aus dem Gespräch ging hervor, dass er seinen Mithäftlingen von einem großen Besäufnis vorgeschwärmt hatte, das er am Tag seiner Entlassung veranstalten wollte. Das schien mir eine gute Gelegenheit zu sein. Ich würde ihm folgen, damit ich wusste, wann er nach Hause kam. - Dann sah ich, dass ein Taxi vorfuhr. Und ich dachte, mein Herz bliebe stehen! Der Mann, der aus dem Taxi stieg, war niemand anders als Stefan Vlankovic.
Sofort war mir klar, dass er Masson vom Gefängnis abholen wollte.«
    »In der Santé sagte man uns, Vlankovic habe Masson einige Male im Gefängnis besucht«, merkte LaBréa an. »Ist er Ihnen da nie aufgefallen?«
    »Nein. Wenn ich ihn gesehen hätte, hätte er mich wahrscheinlich ebenfalls gesehen und sofort erkannt.«
    »Richtig. Stefan Vlankovic stammt ja aus Foča«, warf der Ermittlungsrichter ein und drückte seine Zigarette aus. »Sie kannten ihn also demnach bereits früher, ich meine, vor dem Krieg.«
    Ein bitterer Zug legte sich um den Mund der Ärztin.
    »Er ging früher in dieselbe Klasse wie mein Bruder Alex. Ein paarmal ist er sogar bei uns zu Hause gewesen. Und mein Vater, der Arzt war, hat sich dafür eingesetzt, dass Vlankovics Mutter bei einem bekannten Professor in Sarajewo eine Krebsoperation vornehmen lassen konnte. Die Vlankovics waren arme Leute und hätten sich diese Behandlung nicht leisten können.«
    »Lebt Ihr Bruder noch?«, fragte Claudine vorsichtig.
    Das Gesicht der Ärztin verhärtete sich.
    »Von meiner Familie lebt niemand mehr. Aber Sie werden verstehen, dass ich das hier und jetzt wirklich nicht erzählen möchte.«
    LaBréa nickte. »Und war Ihre Vermutung richtig? Hat Vlankovic Masson am Gefängnistor abgeholt?«
    Er hatte ihn abgeholt. Hélène verhielt sich äußerst vorsichtig, damit Vlankovic sie nicht sah. Sein plötzliches Auftauchen hatte sie völlig überrascht, doch sie wollte abwarten, wie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher