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Todesträume am Montparnasse

Titel: Todesträume am Montparnasse
Autoren: Alexandra Grote
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außer dem Geräusch eines laufenden Wasserhahns, das aus einem der Räume drang, die offenbar vom Flur abgingen. Sie schlich sich näher heran und kam zum Waschraum. Ein Mann beugte sich übers Waschbecken und klatschte sich immer wieder Wasser ins Gesicht. Es war Vlankovic. Hélène erkannte ihn an seinen lockigen dunklen Haaren und der Militärhose, die er bereits bei der Zechtour am Vortag getragen hatte. Der Oberkörper war mit einem T-Shirt bekleidet. Hélène begriff sofort, dass sich ihr hier die erhoffte Gelegenheit bot. Blitzschnell präparierte sie den Wattebausch mit Äther und näherte sich Vlankovic auf Zehenspitzen. Erst in letzter Sekunde hörte er sie und drehte sich um. Doch da hatte Hélène ihm bereits den Wattebausch aufs Gesicht gedrückt und die Wirkung setzte sogleich ein.
    Anschließend schleifte sie ihn ins nächste Zimmer, wo er offensichtlich wohnte, und wuchtete ihn auf das Eisenbett.

    »Ich habe genau dasselbe mit ihm gemacht wie mit dem Blonden«, erklärte Hélène Clement, und LaBréa war erneut erstaunt, wie ungerührt sie das alles erzählte. »Ihn ausgezogen, Hand- und Fußgelenke am Bett fixiert, seinen Mund verklebt. Dann legte ich Kopftuch und Brille ab und habe gewartet, dass er aufwachte. Das geschah etwa eine Viertelstunde später.«
    Sie trank das Wasser in ihrem Glas in einem Zug aus.
    »Hatten Sie den Eindruck, dass Vlankovic Drogen genommen hatte?«, fragte LaBréa.
    Dr. Clément zuckte mit den Schultern.
    »Das kann ich nicht sagen. Vielleicht. Doch, jetzt, wo Sie es sagen … das könnte möglich sein, denn er reagierte extrem langsam, als er sich im Waschraum nach mir umdrehte.«
    LaBréa nickte. »Gut. Und weiter?«
    »Vlankovic erkannte mich sofort, als er zu sich kam. Die Panik, die ich in seinen Augen sah, verschaffte mir eine ungeheure Genugtuung. Zunächst sagte ich nichts, holte nur meinen Kassettenrekorder hervor und spielte ihm den Boléro vor. Dann beschrieb ich ihm in detaillierter Form, was jetzt mit ihm geschehen würde, und holte das Skalpell heraus. Um seine Angst zu steigern, zögerte ich alles hinaus. Ich ließ das Boléro -Band ein zweites Mal laufen. Aber noch rührte ich ihn nicht an. Ich habe bestimmt eine halbe Stunde nur auf der Bettkante gesessen, ihn angesehen
und immer wieder die Musik abgespielt. Sein Mördergesicht betrachtet, mir all das ins Gedächtnis gerufen, was er mir und anderen angetan hat. Dann war ich so weit. Vielleicht mutet das unbegreiflich an, unmenschlich. Aber ich verspürte eine große Ruhe in mir, als ich das Skalpell ansetzte. Die Gewissheit, dass mein Handeln richtig war, besser gesagt: notwendig. Dass ein solcher Mensch es nicht verdient, weiterzuleben.« Sie holte tief Luft. »Der Rest ist schnell erzählt. Vlankovic verlor das Bewusstsein später als sein Kumpan in der Nacht zuvor. Als ich fertig war, habe ich die Kassette und Geschlechtsteile auf seine Brust gelegt. Nachdem ich mein Skalpell im Waschraum gesäubert hatte, schaffte ich Vlankovics Körper die Treppe hinunter, durch die Fabrikhalle in den Hof.«
    »Warum das?«, fragte LaBréa stirnrunzelnd. »Warum ließen Sie ihn nicht oben liegen?«
    »Weil ich wollte, dass man ihn findet. Und dass man ihn frisch findet, wenn Sie verstehen, was ich meine. Wie einen räudigen Hund, den man erschlagen hat und dessen Körper man wegwirft. Ohne Achtung, ohne Pietät, als etwas gänzlich Wertloses. So, wie er es mit vielen seiner Opfer gemacht hat.«
    Hélène Clément wirkte erschöpft, als sie jetzt innehielt. Sie hatte ein umfassendes Geständnis abgelegt, das würde ihr vor Gericht positiv ausgelegt werden. Obwohl sie zwei Menschen grausam, heimtückisch und vorsätzlich getötet hatte, konnte sie aufgrund der
Erlebnisse damals in Bosnien vermutlich mit mildernden Umständen rechnen.
    Doch noch waren nicht alle Fragen geklärt. LaBréa zog den Umschlag mit den handbeschriebenen Heftseiten hervor und legte ihn auf den Tisch. Bevor er die Ärztin jedoch fragen konnte, was diese Blätter zu bedeuten hatten, sagte sie leise: »Bitte, entschuldigen Sie, aber ich würde jetzt gern einmal zur Toilette gehen.«
    »Selbstverständlich.« Couperin nickte und gab Claudine ein Zeichen. In Begleitung seiner Mitarbeiterin verließ Hélène LaBréas Büro.
    »Der Fall ist abgeschlossen«, sagte Couperin nicht ohne Erleichterung und zündete sich eine weitere Zigarette an. »Das Gericht wird ihr vielleicht aufgrund der schrecklichen Erlebnisse damals in Foča mildernde Umstände
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