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Todesträume am Montparnasse

Titel: Todesträume am Montparnasse
Autoren: Alexandra Grote
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gingen mit raschen Schritten zum Parkplatz. Bevor sie in Richards silberfarbenen Porsche stiegen, schüttelten sie sich den Schnee von den Kleidern und aus den Haaren.
    »Seit Jahren hat es Ende Januar in Paris nicht mehr geschneit«, sagte Richard und startete den Motor. »Na ja, auf den großen Straßen bleibt der Schnee wahrscheinlich sowieso nicht lange liegen.«
    LaBréa nickte vage. Seine Gedanken verweilten noch bei seiner kranken Mutter, die er und sein Bruder an diesem Vormittag im Pflegeheim besucht hatten. Seit drei Jahren war Lucia LaBréa hier in Créteil untergebracht. Das Schloss, das vor dreihundert Jahren als Morgengabe für eine königliche Mätresse gebaut worden war, lag in einem idyllischen Park und bot den hier untergebrachten Patienten beste Betreuung.
    Lucia LaBréas Krankheit war im Lauf der Jahre rapide fortgeschritten. Schon lange erkannte sie ihre
Söhne nicht mehr, schien auch nicht mehr zu wissen, wer sie selbst war. Was fühlte und empfand sie noch? Diese Frage stellte LaBréa sich nicht zum ersten Mal, und niemand konnte ihm darauf eine Antwort geben. Manchmal, wenn sie ihrem ältesten Sohn in ihrem Zimmer gegenübersaß, lag eine ferne Ahnung in ihrem Blick, als erinnerte sie sich. Es war, als würde der Schleier, der ihre Gemütsregungen versteckte, gelüftet. Doch gleich darauf starrte sie wieder ins Leere, zurückgezogen in die schwarze Unendlichkeit des Vergessens. Von den Besuchen bei seiner Mutter, aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit ohnehin selten genug, kehrte LaBréa jedes Mal niedergeschlagen zurück. Es gab keine Hilfe für die alte Dame, deren Haar erst von wenigen grauen Strähnen durchzogen war und deren feine Gesichtsfältchen sie jünger wirken ließen, als sie war. Keine Therapie, keine Medikamente, die die fortschreitende Zerstörung des Gehirns aufhalten konnten.
    Er dachte an Jenny, seine zwölfjährige Tochter. Einer der Ärzte im Pflegeheim hatte ihm vor einiger Zeit gesagt, dass die Alzheimerkrankheit erblich sei. Er und sein Bruder könnten später davon befallen werden, ebenso wie ihre Nachkommen. Ein entsprechender Gentest könne eventuell Aufschluss darüber geben, ob man den Keim der Krankheit in sich trägt. Dennoch - wollte er wissen, ob er als älterer Mann einmal an Alzheimer leiden würde? Nein, auf dieses Wissen konnte LaBréa verzichten. Und Jenny? Sie
würde selbst darüber entscheiden können, wenn sie alt genug dazu war.
    LaBréa warf einen Blick zurück auf das Schloss. Mit seinen Zinnen und Türmchen, auf denen der Schnee wie zarter Zuckerguss lag, wirkte es verwunschen und geheimnisvoll. Niemand würde vermuten, dass hier Schwerstkranke untergebracht waren, die auf ihren Tod warteten, ohne dass sie sich dessen bewusst schienen.
    Die Stimme seines Bruders riss LaBréa aus seinen Gedanken.
    »Wo soll ich dich absetzen? Am Quai des Orfèvres?«
    »Ja, bitte.«
    Richard bog in die Hauptstraße ein, die zunächst durch den Ort Créteil und dann zum Périphérique führte. Die Straße war glatt, denn entgegen Richards Vermutung blieb der Schnee liegen. Richard stellte das Autoradio an. Auf France-Inter kamen die Nachrichten. Die europäische Raumsonde Mars Express funkte Daten zur Erde, die den Beweis dafür lieferten, dass auf dem Mars Wasser in Form von Eis existierte. Hatte es dort früher einmal Leben gegeben, oder würde es in seiner primitivsten Form irgendwann erst noch entstehen? Zum Schluss das Wetter. Die Aussichten waren so, wie LaBréa vermutete: Den ganzen Tag über würde es im Raum Paris schneien.
    LaBréas Handy klingelte. Er zog es aus der Brusttasche seiner Lederjacke.

    »Ja?« Eine Weile hörte er schweigend zu. Dann sagte er: »Fordern Sie die Spurensicherung an, Franck, und setzen Sie sich mit Dr. Foucart in Verbindung. - Die ist bereits unterwegs? Na, das hätte ich mir denken können. Immer als Erste zur Stelle. Ich bin in einer knappen halben Stunde da.« Er schaltete das Telefon aus und wandte sich an seinen Bruder.
    »Kleine Programmänderung, Richie. Fahr mich bitte zur Santé.«
    Sein Bruder blickte ihn erstaunt an.
    »Zum Gefängnis?«
    »Ja. Ein Untersuchungshäftling hat sich heute früh in seiner Zelle erhängt.«
    »Und wieso musst du dann dorthin?«, fragte Richard neugierig und schaltete das Radio aus.
    »Weil der Mann vor zehn Tagen eine junge Frau brutal vergewaltigt und anschließend versucht hat, sie zu ermorden. Einen Tag nach der Tat wurde er geschnappt. Außerdem - jeder Selbstmord im Gefängnis wird
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