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Todestanz

Todestanz

Titel: Todestanz
Autoren: Margie Orford
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dickem Draht vergittert war. An der Ecke gegenüber die Grundschule, Müllfetzen an einem verrosteten Stacheldrahtzaun. Auf dem Spielplatz wimmelte es von Kindern in weißen Hemden und Blusen; die Mädchen mit flaschengrünen
Röcken, die Jungen mit grauen Hosen. In einer Ecke stand einsam ein kleines Mädchen unter einem von Schüssen durchlöcherten Schild.
    Ihre Nachbarschaftswache wacht über Sie.
    Das Mädchen hielt seine Brotbox umklammert. Die großen, dunklen Augen folgten Clare, als sie vorbeifuhr. Wie aus dem Nichts erschienen ein paar ältere Jungen, umstellten das kleine Mädchen, schlugen ihr das Sandwich aus der Hand und schubsten sie herum. Das Mädchen wehrte sich nicht. Ein Junge schob die Hand rücksichtslos und forschend unter ihren Rock. Tränen rollten über die ausgezehrten Wangen des Mädchens. Clare drückte auf die Hupe, und die Jungen – zehn, elf Jahre alt – drehten sich nach ihrem Auto um. Sie war auf der einen Seite des Zaunes; sie waren auf der anderen. Sie gaben dem Mädchen einen letzten, festen Schubs und verschwanden im Rudel, um sich in ein Fußballmatch auf dem staubigen Sportplatz zu stürzen.
    Das Mädchen rappelte sich auf und verschwand, ohne ihr zertrampeltes Mittagessen aufzuheben, strich sich im Weglaufen den Rock glatt und steckte die weiße Bluse wieder in den Bund, um die ihr angetane intime Berührung vergessen zu machen.
    Die Ampel schaltete um, und Clare fuhr weiter. Die Hoekstanders nahmen sie ins Visier, und der kleinste verschwand in einem Durchgang, sobald sie vorbeigefahren war. Die Nachricht von ihrer Ankunft eilte ihr voraus. Sie warf einen Blick auf die Anzeige für die Zentralverriegelung.
    Orange.
    Clare bremste ab. Die schäbigen Bauten waren von Narben zerfressen. Innerhalb von vierzehn Tagen waren bei einem plötzlich aufflammenden Bandenkrieg fünf Kinder getötet worden. Bei den Beisetzungen wurden die kleinen weißen Särge von grimmig dreinblickenden Onkeln und Rache
schwörenden Brüdern getragen; dahinter folgten die resignierten Mütter, die schluchzend in ihre Häuser zurückkehrten, um auf den nächsten Gewaltausbruch, die nächsten Kriegsopfer zu warten. Noch war es nicht dazu gekommen. Noch nicht.
    El Alamein.
    Zu Schatten ausgeblichene Buchstaben kennzeichneten den Block, nach dem Clare suchte. Ein frisch gemalter Hammer mit Sichel kennzeichnete ihn als Territorium der Afghanen.
    Sie hielt an.
    Ein Junge löste sich von einer Wand, kam mit tief sitzenden Jeans angeschlendert. Clare war auf seinem Territorium, das wusste er; und er wusste, dass sie es wusste. Ihr Puls beschleunigte sich, während sie den vereinbarten Text in ihr Handy eintippte. Ein zweiter Junge, ausgemergelt wie ein Straßenköter, tauchte unversehens an der Ecke auf. Zwei weitere lösten sich von der Wand und gesellten sich zu den anderen. So dicht beisammenstehend verschmolzen ihre Körper zu dem einer vielgliedrigen Kreatur.
    Sie blickte auf das Display ihres Handys.
    Noch keine Antwort.
    Sie sah zu den Fenstern des Sozialbaus auf. Alle geschlossen. Im dritten Stock senkte sich ein Vorhang. Vor ihr bewegte sich etwas. Die Jungen an der Ecke kamen langsam auf sie zu.
    Der Junge an ihrem Fenster hatte beide Hände auf die Scheibe gelegt. Er beugte sich vor und starrte sie mit überraschend grünen Augen an. Clare ließ das Fenster herunter. Nach dem Zischen eines Zündholzes breitete sich ein stechender Tabakgeruch aus.
    Â»Sie rauchen nicht?«
    Er hatte bemerkt, wie ihre Nasenflügel gebebt hatten.

    Â»Nein.«
    Â»Dann sind Sie die Ärztin, die meine Mutter gerufen hat?«
    Clare nickte. Das war nicht der Zeitpunkt, ihm den Unterschied zwischen einer Doktorarbeit in Medizin und einer über Vergewaltigung und mehrfachen Frauenmord zu erläutern.
    Â»Mach das aus.«
    Sein Tonfall änderte sich kaum hörbar – mehr Autorität brauchte es nicht. Der scharfe Geruch verwehte.
    Â»Sie wartet schon auf Sie.«
    Ein Minibus-Taxi rumpelte durch die Straße, die Musikanlage so weit aufgedreht, dass der Rhythmus der Bässe durch den Teer und Clares Rückgrat vibrierte. Sie hängte sich die Kameratasche über die Schulter und stieg aus.
    Â»Sie können ganz ruhig sein. Sie sind mit Lemmetjie zusammen.« Lemmetjie, dünn wie die scharfe Klinge, der er die Narbe am Hals und seinen Spitznamen verdankte, hob beide Arme in
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