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TODESSAAT

TODESSAAT

Titel: TODESSAAT
Autoren: Brian Lumley
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töten kann, und das ist das Wichtigste.«
    Clarke blickte direkt auf die spiegelnden schwarzen Flächen von Harrys Sonnenbrille. »Du bist derjenige, der uns das beigebracht hat, Harry«, sagte er.
    Harry lächelte wieder auf seine traurige Art, dann fasste er ganz langsam und betont nach seiner Brille und nahm sie ab. Anschließend steckte er sie in die Tasche. »Und?«, bemerkte er herausfordernd.
    Clarke blieb der Mund offen stehen, unsicher trat er einen Schritt zurück. Er konnte ein Seufzen der Erleichterung kaum unterdrücken, als er in die völlig normalen braunen Augen seines Gegenübers blickte. »Äh ... was: und?«, brachte er mühsam hervor.
    »Na ja, wohin gehen wir nun?«, fragte Harry achselzuckend. »Oder sind wir schon da?«
    Clarke riss sich zusammen. »Wir sind beinahe da«, antwortete er.
    Er führte Harry eine Reihe ausgetretener Steinstufen hinab, durch eine schwere Tür in einen gefliesten Korridor. Als sie diesen betraten, ging ein Militärpolizist in Habtachtstellung und salutierte. Clarke nickte ihm zu und führte Harry weiter. Als sie den Korridor etwa zur Hälfte durchquert hatten, erreichten sie eine eisenbeschlagende Eichentür, die von einem Mann mittleren Alters – zweifellos einem Polizisten, obwohl er Zivil trug – bewacht wurde.
    Wieder nickte Clarke. Daraufhin trat der Mann zur Seite und öffnete die Tür für sie.
    »Jetzt sind wir da«, kam Harry Clarke zuvor, der den Mund sogleich wieder schloss, da er ohnehin dasselbe hatte sagen wollen. Harry Keogh brauchte niemanden, der ihm erklärte, dass er sich in der Nähe einer toten Person befand.
    Der Wächter schloss leise die Tür hinter ihnen.
    In dem Raum war es kühl. Zwei der Wände bestanden aus gewachsenem Stein, und ein Vorsprung aus vulkanischem Gneis zog sich vom Steinfußboden hoch in eine Seitenwand hinein. Offensichtlich war dies als Lagerraum aus dem Felsen gehauen worden, denn auf der einen Seite lag ein ganzer Stapel auseinandergenommener Metallregale. Gegenüber stand an der einen Felswand ein Rollbett, wie es in Krankenhäusern Verwendung findet. Darauf lag ein mit einem weißen Gummituch bedeckter Körper.
    Der Necroscope verschwendete keine Zeit. Der Tod enthielt für Harry Keogh keinen Schrecken. Hätte er unter den Lebenden genauso viele Freunde wie unter den Toten gehabt, wäre er der meistgeliebte Mensch aller Zeiten gewesen. Das war er im Grunde auch, doch die Menschen, die ihn liebten, konnten niemandem mehr davon erzählen. Nur eben Harry selbst.
    Er ging zu dem Rollbett und schlug das Gummituch von dem Gesicht zurück. Dann schloss er die Augen und schluckte schwer. Sie war blutjung und unschuldig gewesen, und man hatte sie gefoltert. Sie litt noch immer entsetzliche Qualen. Ihre Augen waren geschlossen, doch Harry war klar, welche Pein in ihrem Blick gelegen hätte, wären sie geöffnet gewesen. Er hatte das Gefühl, dieser Blick brenne durch die Lider hindurch und schreie ihr ganzes Entsetzen hinaus.
    Sie würde Trost benötigen. Die Toten, jedenfalls die große Mehrheit, würden versuchen, sie zu beruhigen, aber manchmal stellten sie sich dabei recht ungeschickt an. Ihre Stimmen klangen klagend, geisterhaft und häufig Angst einflößend, zumindest für jemanden, der sie nicht kannte. In der Dunkelheit des Todes wirkten sie wie Albtraumgestalten, wie heulende Banshees, die kamen, um eine Seele zu stehlen. Vielleicht glaubte sie zu träumen, vermutete sogar, dass sie sterben müsse, aber bestimmt nicht, dass sie schon tot war. Es brauchte Zeit, bis diese Erkenntnis einsickerte. Die frisch Verstorbenen waren meist die Letzten, die ihren Zustand realisierten. Sie waren einfach noch nicht bereit, ihn zu akzeptieren. Das traf besonders auf die ganz jungen zu, die sich noch nie mit dem Gedanken an den Tod beschäftigt hatten.
    Doch andererseits, falls sie den Tod kommen gesehen, falls sie ihn an den Augen ihres Mörders abgelesen, den betäubenden Schlag gespürt hatte, die Hände um ihren Hals, die ihr die Luft abschnürten, das scharfe Instrument des Todes, das in ihren Körper hineinschnitt ... dann hatte sie es gewusst. Und sie würde sich nun fürchterlich kalt, einsam und verängstigt fühlen.
    Harry wusste sehr wohl, wie schrecklich Tote weinen können.
    Er zögerte, weil er sich nicht entschließen konnte, wie er sie ansprechen sollte. Er wusste noch nicht einmal, ob sie ansprechbar war. Denn Harry war klar: Im Gegensatz zu ihr war er unrein. Sie war rein und unschuldig.
    Zornig schob er jedoch
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