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TODESSAAT

TODESSAAT

Titel: TODESSAAT
Autoren: Brian Lumley
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Küche, um sein Frühstück zu beenden: ein dickes Steak, roh und blutig.
    Wenn man ihn so ansah, war Darcy Clarke möglicherweise der unauffälligste Mann der Welt. Zum Ausgleich dafür, dass er kaum bemerkt wurde, hatte die Natur ihm jedoch ein beinahe einmaliges Talent verliehen. Clarke war ein Deflektor, also das Gegenteil eines Unglücksraben. Kam er irgendeiner Gefahr zu nahe, dann meldete sich sein parapsychologischer Schutzengel und griff ein, um ihn davor zu bewahren. Mit anderen Worten: Wären alle Mitglieder des E-Dezernats Fotos, würde sich Clarke als das einzige Negativ von den anderen unterscheiden. Er konnte diese Eigenschaft nicht kontrollieren, und es wurde ihm auch nur in den seltensten Fällen bewusst, nämlich dann, wenn er einer Gefahr absichtlich ins Auge blickte.
    Die Fähigkeiten der anderen – Telepathie, Hellseherei und so weiter – konnte man beherrschen, gezielt einsetzen, aber nicht die Clarkes. Sie funktionierte einfach und beschützte ihn. Einen anderen Zweck vermochte sie nicht zu erfüllen. Doch gerade deshalb war er der ideale Mann für seinen Job. Das Verrückte daran war lediglich, dass er selbst nicht daran glaubte, bis er wieder einmal die Auswirkungen seines besonderen Talents spürte. Nach wie vor schaltete er die Sicherung ab, wenn er eine Glühbirne auswechselte! Andererseits mochte selbst das eine Auswirkung dieser Fähigkeit sein ...
    Niemand hätte es Clarke je angesehen, dass er der Chef irgendeiner Organisation war, geschweige denn des geheimsten Zweigs des britischen Geheimdienstes. Mittelgroß, von undefinierbarer Haarfarbe, ein wenig vornüber gebeugt, mit leichtem Bauchansatz, mittleres Alter – er war in jeder Hinsicht durchschnittlich. Haselnussbraune Augen und ein strenger Zug um den Mund (das Einzige, woran man sich möglicherweise erinnerte) beherrschten sein ernstes Gesicht, das die meisten jedoch vergaßen, sobald sie sich nicht mehr in seiner Gegenwart befanden. Auch seine Kleidung war – was sonst? – unauffällig.
    An all dies dachte Harry Keogh in den Sekunden, bevor er aus dem metaphysischen Möbius-Kontinuum auf den Platz vor der Burg von Edinburgh trat und Darcy Clarke dort stehen sah. Er hatte ihm den Rücken zugewandt, die Hände tief in den Manteltaschen vergraben, und las den Text auf einer Messingtafel, die über einem Brunnentrog aus dem siebzehnten Jahrhundert angebracht war.
    Der schmiedeeiserne Brunnen selbst zeigte zwei Köpfe, von denen einer hässlich war und böse dreinblickte, während der andere gütig wirkte. Auf der Tafel stand:
    ... in der Nähe des Platzes, auf dem viele Hexen verbrannt wurden. Der böse Kopf und der Gütige sollen darstellen, dass einige von ihnen ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten gebrauchten, um Böses zu tun, während andere missverstanden wurden, da sie eigentlich nur Gutes im Sinn hatten.
    Wäre der Wind nicht gewesen, hätte es ein schöner, lauer Maitag sein können. Doch der Platz war beinahe menschenleer. Höchstens zwei Dutzend Touristen standen in kleinen Gruppen am oberen Ende des Vorhofs und blickten über die Mauern auf die Stadt hinab oder fotografierten die große graue Festung hinter ihrer Fassade aus Bollwerken und Innenhöfen. Harry war nur einen Augenblick später als Clarke eingetroffen, der sich nach einem kurzen Rundblick über den Platz der Tafel zugewandt hatte.
    Noch vor einem Moment war Clarke mit seinen Gedanken allein gewesen; im Umkreis von etwa zwanzig Metern hatte sich keine Menschenseele befunden. Und nun sagte eine leise Stimme direkt hinter ihm: »Feuer macht keine Unterschiede, wen es vernichtet. Gut oder böse, alles brennt, wenn es heiß genug ist.«
    Clarke blieb fast das Herz stehen. Er zuckte zusammen und wirbelte mit plötzlich bleichem Gesicht herum. »Ha-Ha-Harry!«, stammelte er. »Mein Gott, ich habe dich nicht kommen sehen! Wie kommst du ...?« Doch hier unterbrach er sich, denn natürlich wusste er, woher Harry aufgetaucht war ... Der Necroscope hatte ihn einmal dorthin mitgenommen, in jenen Möbius-Kontinuum genannten Überall-und-Nirgends-Raum.
    Erschüttert und mit pochendem Herzen lehnte Clarke sich an die Wand. Allerdings hatte er keine Angst, nur einen leichten Schrecken; seine Gabe hatte an Keoghs Gegenwart nichts Bedrohliches gefunden.
    Harry lächelte ihn an und nickte, berührte ihn sogar kurz am Arm, dann blickte er wieder auf die Tafel. Dabei erstarb sein Lächeln. »Sie haben vor allem ihre eigenen Ängste exorziert«, sagte er. »Denn natürlich
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