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Todesopfer

Todesopfer

Titel: Todesopfer
Autoren: Sharon Bolton
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geblieben. Er mochte absolute Zuversicht vorgeschützt haben, als er mit den Kennedys sprach, doch er behielt mich während der ganzen Operation sehr genau im Auge. Nur einmal hatte er etwas gesagt, ein scharfes »Passen Sie auf Ihre Klemmen auf, Miss Hamilton«, als meine Konzentration um eine Winzigkeit nachgelassen hatte. Als es vorbei war, hatte er wortlos den OP verlassen; wenigstens traute er mir zu, allein zuzumachen.
    Ich war mir wirklich nicht sicher, ob er mit mir zufrieden gewesen war oder nicht. Alles ging recht glatt über die Bühne, doch an dem, was ich getan hatte, war nichts Raffiniertes gewesen und ganz bestimmt nichts Brillantes. Ich hatte genau wie das gewirkt, was ich war: eine frischgebackene und sehr nervöse Fachärztin, die sich verzweifelt bemüht, nichts falsch zu machen.
    Und jetzt ärgerte ich mich über ihn. Er hätte etwas sagen sollen, sogar Kritik wäre besser gewesen, als einfach zu verschwinden. Ich war vielleicht nicht brillant gewesen, aber ich hatte mich gut geschlagen. Und jetzt fühlte ich mich müde, mir war ein bisschen zum Heulen zumute, und ich brauchte ein paar aufmunternde Worte und ein Schulterklopfen. Das ist ein Teil von mir, den ich überhaupt nicht mag, dieses ständige Bedürfnis nach Anerkennung.
Als ich jünger war, hatte ich angenommen, das sei etwas, was ich irgendwann ablegen würde; dass sich mit mehr Erfahrung und Reife auch Selbstsicherheit einstellen würde. Vor nicht allzu langer Zeit jedoch habe ich angefangen, daran zu zweifeln und mich zu fragen, ob ich vielleicht immer die Bestätigung anderer Menschen brauchen werde.
    Ich stand am Fenster meines Büros und verfolgte, wie Menschen und Autos unten auf dem Parkplatz herumrangierten. Als das Telefon klingelte, fuhr ich zusammen und hastete zu meinem Schreibtisch zurück, weil ich dachte, das Blut sei früher eingetroffen als erwartet.
    Â»Miss Hamilton, hier ist Stephen Renney.«
    Â»Hallo«, sagte ich und versuchte, Zeit zu schinden. Renney, Renney, den Namen sollte ich kennen.
    Â»Ich habe gehört, dass man Sie geholt hat. Wenn Sie nicht zu viel zu tun haben, es gibt da etwas, wobei Sie mir helfen könnten. Wär’s möglich, dass Sie mal kurz runterkommen?«
    Â»Selbstverständlich«, erwiderte ich. »Muss ich irgendwas mitbringen?«
    Â»Nein, nein, nur Ihr Fachwissen. Nennen Sie’s von mir aus Berufsehre, meinetwegen auch Eitelkeit, aber ich möchte einen vollständigen Bericht abliefern, wenn die hohen Tiere hier auflaufen. Ich habe da einen Verdacht, der wichtig sein könnte, und ich will nicht, dass so ein paar Klugscheißer vom Festland mir das morgen unter die Nase reiben, als wär’s eine Riesenentdeckung.«
    Ich hatte keine Ahnung, wovon er redete, doch ich hatte das alles schon öfter gehört. Es widerstrebte den Inselbewohnern so sehr, im Vergleich mit ihren Gegenspielern auf dem Festland in irgendeiner Hinsicht für minderwertig gehalten zu werden, dass sie ein Klima der Vortrefflichkeit als Norm schufen, sogar des Überfliegertums. Manchmal machte es einem das tatsächlich schwer, seine Arbeit zu erledigen; manchmal war gut genug ganz ehrlich alles, was nötig war. Wenn ich schlechte Laune hatte und irgendein pinseliger Beamter mir das Leben vermieste, nannte ich das die »kollektive Überempfindlichkeit der Shetlands«.

    Â»Bin schon unterwegs«, versicherte ich. »In welchem Raum sind Sie?«
    Â»Hundertdrei«, antwortete er. Im Erdgeschoss. Ich legte auf und verließ das Büro. Dann ging ich den Gang entlang und die Treppe hinunter, vorbei an der Radiologie, der Pädiatrie und der Unfallnothilfe. Ich folgte dem Korridor und zählte im Gehen die Nummern an den Türen. Zimmer 103 konnte ich nicht einordnen, und ich hatte keine Ahnung, was Stephen Renneys Fachgebiet war. Ich fand die Nummer und drückte die Tür auf.
    Drinnen versperrte mir DI Dunn den Weg, zusammen mit Kenn Gifford, der noch immer OP-Kleidung trug, allerdings Haube und Mundschutz abgelegt hatte. Außerdem erblickte ich einen kleinen Mann mit Brille und schütterem Haar, von dem ich wusste, dass ich ihn schon einmal gesehen hatte. Das war wohl Stephen Renney, und jetzt, während ich mir wie eine komplette Idiotin vorkam, fiel mir auch wieder ein, dass er der Pathologe der Klinik war.
    Zimmer 103 war die Leichenhalle.

3
    Der kleine Mann kam auf mich zu und streckte mir eine
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