Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Todesmarsch

Titel: Todesmarsch
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
erstickt und sich gleichzeitig in die Hose scheißt.«
    Es war Viertel nach drei gewesen, als Garraty sein grausames Versprechen gegeben hatte. Bis sechs Uhr abends wurde nur ein Geher erschossen. Niemand sprach. Es schien eine ungute Verschwörung im Gange zu sein> das allmählich nahende Ende ihres Lebens zu ignorieren. Als ob sie sich alle vormachten, daß es einfach nicht geschehen könne. Die Gruppen - die kläglichen Überreste der Gruppen - waren völlig auseinandergebrochen. Alle hatten Abrahams Vorschlag zugestimmt. McVries hatte ja gesagt. Baker hatte zugestimmt. Und Stebbins hatte gelacht und Abraham gefragt, ob er sich in den Finger stechen solle, damit er die Abmachung mit seinem Blut unterschreiben könne.
    Es wurde immer kälter. Garraty fragte sich, ob die Sonne wirklich existierte, oder ob er sie nicht bloß geträumt hätte. Auch Jan war jetzt nur noch ein Traum - ein schöner Traum von einem Sommer, der nie stattgefunden hatte.
    Dafür konnte er seinen Vater jetzt immer deutlicher sehen. Seinen Vater mit dem wilden Haarschopf, den er selbst geerbt hatte, und den großen, kräftigen Fernfahrerschultern. Er hatte die Statur eines Footballspielers gehabt, und er konnte sich noch gut daran erinnern, wie er ihn hochgehoben, schwindelerregend durch die Luft geworfen und ihm liebevoll das Haar zerzaust und ihn geküßt hatte. Sein Vater hatte ihn geliebt.
    Eigentlich hatte er seine Mutter in Freeport gar nicht richtig gesehen, dachte er jetzt traurig, aber sie war dagewesen - in ihrem schäbigen, schwarzen Mantel mit den ewigen Schuppen auf dem Kragen, die sie einfach nicht wegbekam, egal, wie oft sie sich die Haare wusch. Er hatte sie wahrscheinlich tief verletzt, indem er sie zugunsten von Jan vernachlässigt hatte. Aber vielleicht hatte er sie ja beleidigen wollen? Na ja, das war jetzt egal, es war vorbei. Jetzt zählte nur die Zukunft, die sich vor ihnen auffädelte, noch bevor sie richtig gestrickt war.
    Man gerät immer tiefer hinein, dachte er. Es wird niemals flacher, immer nur tiefer, bis man die Bucht plötzlich verlassen hat und in den weiten Ozean hinausschwimmt. Früher hat das alles mal ganz leicht ausgesehen. Ziemlich lustig sogar. Er hatte mit McVries darüber gesprochen. McVries hatte ihm erklärt, daß er ihn das erste Mal aus einem reinen Reflex heraus gerettet hätte. Danach, in Freeport, hätte er einem Mädchen, das er nie kennenlernen würde, ein häßliches Erlebnis ersparen wollen. Er würde ja auch Scramms schwangere Frau nie kennenlernen. Der Gedanke gab ihm einen •kleinen Stich, und er wurde traurig. Er hatte schon lange nicht mehr an Scramm gedacht. Er fand, daß McVries schon richtig erwachsen sei, und fragte sich, wieso er es eigentlich nicht geschafft hätte, erwachsen zu werden.
    Der Marsch ging weiter. Städte zogen an ihnen vorbei.
    Er fiel in eine melancholische, seltsamerweise befriedigende Stimmung, aus der ihn ein paar unregelmäßige Schüsse und der heisere Aufschrei der Menge herausrissen. Er drehte sich um und war höllisch erstaunt, Collie Parker mit einem Gewehr in der Hand auf dem Panzerwagen stehen zu sehen.
    Ein Soldat war vom Wagen gefallen und starrte mit toten, weit aufgerissenen Augen in den Himmel. Er hatte ein kreisrundes, von Pulverstaub umrandetes Loch in der Stirn.
    »Ihr verdammten Schweinehunde!« brüllte Parker. Die anderen Soldaten waren schnell abgesprungen. Parker blickte auf die verblüfften Geher hinunter. »Kommt rauf, Leute! Na, macht schon! Wir können -«
    Die Geher einschließlich Garraty starrten ihn an, als würde er plötzlich in einer Fremdsprache mit ihnen sprechen. In dem Augenblick hob einer der Soldaten, der mit abgesprungen war, als Parker das Fahrzeug erobert hatte, seine Waffe und schoß ihm gezielt in den Rücken.
    »Parker!« schrie McVries. Er schien der einzige zu sein, der kapierte, was geschehen war und welche Chance sie verpaßt hatten. »Oh, nein! Parker!«
    Parker grunzte, als ob ihm jemand mit dem Baseballschläger in den Rücken geschlagen hätte. Dann explodierte das Geschoß, und Collie Parker stand aufrecht auf dem Panzerwagen, während seine Eingeweide sich über sein Khakihemd und seine Jeans ergossen. Eine Hand erstarrte in einer weitausholenden Geste, als wäre er gerade inmitten einer wütenden Philippika unterbrochen worden.
    »Oh, Gott!«
    »Verdammt!« sagte Parker.
    Er feuerte das Gewehr, das er dem toten Soldaten entwendet hatte, zweimal in die Menge ab. Die Kugeln pfiffen durch die Luft, und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher