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Todesmarsch

Titel: Todesmarsch
Autoren: Stephen King
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Art Versprechen.«
    »Aha?«
    »Keiner hilft keinem. Mach es entweder allein oder laß es bleiben.«
    Garraty sah auf seine Füße hinunter. Er fragte sich, wie lange er schon so einen Hunger hatte und wie lange es noch dauern würde, bis er in Ohnmacht fiel, wenn er nichts aß. Er dachte an Abrahams Schuhe, die genauso wie Stebbins Schuhe aussahen. Mit solchen Dingern konnte er bis über die Golden Gate Brücke laufen, ohne daß ihnen auch nur der Schnürsenkel riß. Jedenfalls wirkten sie so.
    »Das klingt ziemlich herzlos«, sagte er schließlich.
    »Wir sind in einer ziemlich herzlosen Situation.« Abraham vermied es, ihn anzusehen.
    »Hast du schon mit allen anderen darüber gesprochen?«
    »Noch nicht. Mit einem Dutzend vielleicht.«
    »Ja, das ist wirklich eine gemeine Sache. Man sieht, wie schwer es dir fällt, darüber zu reden.«
    »Es wird mit jedem Mal eher schwieriger als leichter.«
    »Was haben sie gesagt?« Er wußte, was sie gesagt hatten; was sollten sie darauf schon antworten?
    »Sie sind dafür.«
    Garraty öffnete den Mund, schloß ihn aber sogleich wieder. Er blickte auf Baker, der vor ihm lief. Baker hatte seine Jacke wieder angezogen. Sie war tropfnaß. Er hielt den Kopf gesenkt. Seine linke Hüfte war schief, und er humpelte bedenklich. Das Bein mußte furchtbar steif sein.
    »Warum hast du dein Hemd ausgezogen?« fragte er Abraham unvermittelt.
    »Meine Haut fing an zu jucken. Ich hab' überall Pickel gekriegt. Das Hemd war aus Synthetik. Vielleicht bin ich gegen synthetische Stoffe allergisch oder so was - wie soll ich das wissen? Was sagst du nun, Ray?«
    »Du siehst wie ein reuiger Sünder aus.«
    »Was sagst du dazu? Ja oder nein?«
    »Vielleicht schulde ich McVries noch etwas.« McVries lief zwar ganz in ihrer Nähe, aber es war nicht zu erkennen, ob er in dem Lärm der Menge etwas von ihrer Unterhaltung gehört hatte. Na los, McVries, dachte er. Sag ihm, daß ich dir nichts mehr schulde. Nun mach schon, du Hurensohn. Aber McVries schwieg. »Na gut, ich mach' mit.«
    »Cool.«
    Jetzt bin ich ein Tier. Nur noch ein dreckiges, müdes, nichtsnutziges Tier. Du hast es geschafft. Du hast mich dazu gemacht.
    »Wir können dich natürlich nicht davon abhalten, wenn du doch jemandem hilfst, das ist gegen die Vorschriften, aber wir werden dich schneiden. Und du hast dann ein Versprechen gebrochen.« »Ich werd's gar nicht erst versuchen.«
    »Dasselbe gilt für jeden, der versucht, dir zu helfen.«
    »Ja«
    »Es ist nicht persönlich gemeint, das weißt du, Ray. Aber wir sind nun mal soweit gekommen.«
    »Friß Vogel oder stirb.«
    »Genau.«
    »Nichts Persönliches. Nur zurück in den Dschungel.«
    Einen Augenblick lang glaubte er, Abraham wäre beleidigt, aber er holte nur tief Luft und ließ sie in einem Seufzer wieder heraus. Vielleicht war er zu müde, um verletzt zu sein. »Du hast ja gesagt. Ich werde dich darauf festnageln, Ray.«
    »Vielleicht sollte ich jetzt ganz hochtrabend sagen, daß ich mein Versprechen halten werde, weil ich mich immer an mein Wort gebunden fühle, aber ich will ehrlich zu dir sein, Abe. Ich freue mich darauf, daß du erschossen wirst. Je eher, desto besser.«
    Abraham leckte sich über die Lippen. »Ja.«
    »Deine Schuhe sehen aber gut aus, Abe.«
    »Ja, aber sie sind verdammt schwer. Du kaufst sie für eine lange Strecke und mußt das Gewicht dafür mit in Kauf nehmen.«
    »Es gibt wohl kein Heilmittel gegen diese Sommerdepression, nicht wahr?«
    Abraham lachte. Garraty beobachtete McVries. Sein Gesicht blieb ausdruckslos. Es war gut möglich, daß er sie gehört hatte. Vielleicht aber auch nicht. Der Regen floß in geraden, beständigen Fäden vom Himmel herab. Er war stärker und kälter geworden. Abrahams Haut war bleich wie ein Fischbauch. Ohne Hemd sah er mehr denn je wie ein Strafgefangener aus. Garratay fragte sich, ob niemand ihm gesagt hatte, daß er nicht die geringste Chance hätte, die kommende Nacht ohne Hemd zu überleben. Das Zwielicht schien sich jetzt schon einzustellen. McVries? Hast du uns gehört, McVries? Ich hab' dich verraten. Ade, Musketiere, auf Nimmerwiedersehen .
    »Ah, ich will nicht auf diese Weise sterben«, jammerte Abraham und fing plötzlich an zu heulen. »Nicht hier vor allen Leuten, wo sie Wetten über dich abschließen, ob du nicht doch wieder aufstehst und noch ein paar Meilen weitergehst. Es ist so verdammt sinnlos. So verdammt sinnlos! Es hat ungefähr so viel Würde wie ein Mongoloide, der an seiner eigenen Zunge
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