Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesfrist

Todesfrist

Titel: Todesfrist
Autoren: Andreas Gruber
Vom Netzwerk:
hinaus?«
    »Vielleicht.«
    »War das der Grund, weshalb Sie auf dem Dach nicht abgedrückt haben, als ich Ihnen die Möglichkeit dazu gab?«
    Mit dieser Frage hatte sie sich in den letzten Wochen ausführlich beschäftigt. Schließlich war sie zu einer Antwort gekommen. »Wissen Sie, ich bin nicht so wie Sie. Rache wird mein Herz nicht vergiften.«
    Er bog lächelnd in einen Seitenweg ein. »Das ist schön.«
    »Schön?«, wiederholte sie. »Das sagen ausgerechnet Sie, nachdem Sie mich gedrängt haben, Carl abzuknallen?«
    »Jetzt erzähle ich Ihnen eine Geschichte. Es wäre mir in jener Nacht scheißegal gewesen, ob Sie Carl erschießen oder nicht.«

    Was? Er wollte sie doch auf den Arm nehmen! »Und warum haben Sie mir Ihre Waffe gegeben?«
    »Ich wusste, Sie würden nicht abdrücken, aber ich musste mich dessen vergewissern.«
    Ihr Puls schnellte hoch. »Sie wollten mich testen?«, fuhr sie ihn an. »Warum zum Teufel? Bin ich eines Ihrer Psycho-Studienobjekte?«
    »Beruhigen Sie sich.« Er legte ihr die Hand auf die Schulter. »Ich hatte meine Gründe, denn auch ich habe ein Geschenk für Sie.«
    In diesem Moment musste sie ihn ziemlich dämlich und verdutzt angesehen haben, denn er schmunzelte. »Ich habe Ihre letzten Bewerbungsunterlagen beim BKA ausgraben lassen.«
    Sabines Magen zog sich zusammen.
    »Ich habe mit dem BKA-Präsidenten gesprochen. Er ist ein mieser Sesselpupser und kann mich nicht besonders gut leiden, aber er ist mir noch einen Gefallen schuldig. Wir haben eine Akademie für hoch begabten Nachwuchs. Ich habe Sie vorgeschlagen.«
    »Ist nicht wahr«, entfuhr es ihr. »Aber warum …?«
    »Warum? Aber kapieren Sie denn nicht?«, rief er. »Ohne Sie hätte ich den Fall nicht in dieser Zeit lösen und drei Menschen das Leben retten können!«
    Möglicherweise wären Rose Harmann, Helen Berger und Carls Kindergärtnerin Ursula Zehetner gestorben. »Deshalb haben Sie mich für das BKA empfohlen?«
    »Und aus einer Menge anderer guter Gründe. Die wollen Sie doch jetzt nicht alle hören?«
    Sie hob kommentarlos drei Finger.
    »Verdomme!« Er lächelte. »Weil Sie Carl Boni nicht kaltblütig abgeknallt haben und verhindern wollten, dass er vom Dach springt. Sie werden nicht von Rachegefühlen geleitet. Sie machen kompromisslos Ihren Job und sind noch nicht von Ihrem Beruf zerstört worden, so wie andere.« Er machte eine Pause. »Das BKA braucht junge Leute wie Sie.«
    Puh! Das musste sie erst einmal verdauen.

    »Wohin gehen wir eigentlich?«, fragte sie nach einer Weile.
    »Zum Grab von Carl Bonis Vater.« Er bog in einen Seitenweg ein. »Dort drüben.« Nach einigen Schritten blieb er stehen. »Hier sind wir also, um das letzte Rätsel zu lösen.«
    Ein relativ neuer Grabstein ragte aus der Erde. Josef Boni stand auf dem Marmor. Er war vor drei Jahren gestorben. Das Foto zeigte den Dom-Organisten während einer Messe an der Klaviatur einer Orgel. Sabine versuchte, den ernsten und verbitterten Gesichtsausdruck des Mannes zu deuten, dessen Erziehungsmethoden seinen Sohn zum Mörder werden ließen.
    Sneijder deutete zu der Grablaterne. »Fällt Ihnen etwas auf?«
    Hinter dem roten Becher einer niedergebrannten Kerze steckte ein Blatt Papier in einer zusammengefalteten Klarsichtfolie. Sabine öffnete die Laterne und zog die Hülle hervor. Das Blatt enthielt eine kurze handschriftliche Notiz:
    Lieber Vater, wenn du errätst, wen ich entführt habe, bleibt die Person am Leben – wenn nicht, stirbt sie.
    Sie faltete die Folie zusammen. »Ein unlösbares Rätsel.«
    »Zumindest für jemanden, der seit drei Jahren tot ist.« Sneijder setzte einen Fuß auf die Steinumfassung des Grabes. »Wenn die Wiener Gerichtsmedizin mit den Autopsien von Carl und seiner Mutter fertig ist, werden ihre Leichen nach Dresden überstellt. Dann sind sie im Familiengrab vereint.«
    »Wie haben Sie den Brief entdeckt?«, fragte Sabine.
    »Ich wäre ein schlechter Ermittler, wenn ich nicht jeder Spur nachgehen würde.«
    »Es gibt keine schlechten Ermittler, nur unerfahrene«, zitierte sie ihn. »Im Grunde sind Sie gar kein so mieser Kerl, wissen Sie das?«
    »Weiß ich, aber wenn Sie das jemandem erzählen, werfe ich Sie eigenhändig aus der Akademie.« Er lächelte für einen Augenblick. »Übrigens haben wir in Carls Wohnung Hinweise auf die vorletzte Geschichte aus dem Struwwelpeter-Buch gefunden: Hans-Guck-in-die-Luft. Carls Aufzeichnungen zufolge hat er geplant, die Frau
seines ehemaligen Dresdner Lehrmeisters zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher