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Todesfrist

Todesfrist

Titel: Todesfrist
Autoren: Andreas Gruber
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vorenthalten.« Sie wischte sich eine Träne aus den Augen. »Er wird mir das nie verzeihen.«
    Sabine umarmte ihre Schwester. »Aber das hat er doch schon.«
    Jetzt begann Monika hemmungslos zu weinen. »Ich habe ihn für nächstes Wochenende eingeladen«, schluchzte sie. »Er hat angedeutet, dass er vielleicht nach München zieht, um öfter bei uns zu sein.«
    Sabine lächelte. »Siehst du.« Sie wusste das bereits. Gestern hatte sie mit ihrem Vater darüber gesprochen, und er hatte gemeint, dass er sein Hobby – alte Züge zu restaurieren – auch hier ausleben könne.
    Sabines Handy summte. So spät noch eine SMS? Sie rief den Text ab.
    »Was gibt’s?«
    Sabine zeigte ihr die Nachricht.
    Können Sie morgen nach Dresden kommen? Erwarte Sie um 10.45 Uhr beim Haupteingang des Städtischen Heidefriedhofs. Seien Sie pünktlich – M. S. S.
    PS: Happy Birthday
    Sneijder war verrückt! Sabine konnte sich noch lebhaft an Monikas letzte Reaktion erinnern, als Sneijder sie per SMS zum Münchner Flughafen beordert hatte, um mit ihr nach Wien zu fliegen. Du springst einfach so, wenn der Typ mit den Fingern schnippt? Ja, das hatte sie getan.
    Doch diesmal sagte Moni nichts dergleichen. Stattdessen streichelte sie Sabines Wange. »Gehen wir ins Bett. Du musst morgen zeitig raus.«
     
    Am nächsten Tag um kurz vor elf Uhr stellte Sabine ihren Wagen auf dem Besucherparkplatz vor dem Haupteingang des Dresdner
Friedhofs ab. Ein Polizeiauto stand neben dem Tor. Schon von Weitem sah sie neben dem schmiedeeisernen Gatter Maarten Sneijders hagere Gestalt im dunklen Anzug. Er unterhielt sich mit einem jungen Polizisten, der ihn wohl hergebracht hatte. Die Sonnenstrahlen spiegelten sich auf seiner Glatze. Als er Sabine erblickte, schob er die Sonnenbrille über die Augenbrauen.
    »Sie kommen zu spät«, murrte er.
    »Diesmal bin ich nicht so gerast wie an jenem Tag, als wir zusammen nach Dresden gefahren sind.«
    Er musterte sie kurz und ließ einen missbilligenden Blick über Bluse, Schuhe und sommerliche Leinenhose gleiten.
    »Außerdem war ich noch in der Dresdner Innenstadt. Habe mich dort in der Haital-Filiale umgesehen«, rechtfertigte sie sich. »Ich habe ein Geschenk für Sie.«
    Sie wusste, dass Sneijder nichts so leicht aus der Fassung bringen konnte, doch damit hatte er garantiert nicht gerechnet. Sprachlos nahm er die Biografie von Viktor E. Frankl entgegen. Trotzdem ja zum Leben sagen lautete der Titel. Der Buchrücken des schmalen Bändchens war gebrochen, einige Seiten eingeknickt. Außerdem stand eine Widmung auf der ersten Seite. Für Maarten.
    »Haben Sie das Buch etwa gestohlen?«
    »Natürlich. Würden Sie es sonst annehmen?«
    Er setzte sein Leichenhallenlächeln auf. »Danke.« Ein Wort, das sie bisher nur selten aus seinem Mund gehört hatte.
    »Ich sehe, es geht Ihnen gut«, stellte sie fest. Er hatte etwas Farbe im Gesicht, und die beiden punktgroßen Tätowierungen auf seinen Handrücken waren von den Akupunkturnadeln nicht mehr wund.
    »Kommen Sie mit.« Er ging durch das Tor. Sie folgte ihm durch die Allee. Zu beiden Seiten lagen Dutzende Grabreihen.
    »Nachdem ich einen Mörder überführt habe, geht es mir immer ein bis zwei Wochen lang gut. Keine Cluster-Kopfschmerzen, kein Gefühl der Bedrängnis. Dann brauche ich einen neuen Fall.« Er blickte sie von der Seite her an. »Sorgen Sie sich etwa um mich?«

    In seiner Gegenwart würde sie das nie zugeben. Da fiel ihr eine Geschichte ein, die sie zuvor bei Haital in einem Ratgeber gelesen hatte.
    »Kennen Sie die Erzählung von den zwei Zen-Mönchen?«, fragte sie. Ohne eine Antwort abzuwarten, begann sie zu erzählen. »Eines Abends saßen zwei Mönche zusammen und sprachen über die beiden Geister, die im Inneren des Menschen leben und sich gegenseitig bekämpfen. Der eine ist arrogant, egoistisch, eifersüchtig und voll von Rachedurst und falschem Stolz. Der andere ist stark, großzügig und kann verzeihen.«
    Sneijder dachte eine Weile nach. »Das war’s?«, fragte er schließlich.
    »Ja.«
    »Und welcher Geist gewinnt?«
    »Der, den Sie füttern.«
    Sneijder zog einen Schmollmund. »Okay, raffiniert, Eichkätzchen. Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Rose Harmann wollte Helen Berger ausspionieren, um sich an der Ehefrau ihres Geliebten zu rächen. Aber diese Rache führte zur Selbstzerstörung.« Er blätterte gedankenverloren durch das Buch. »Meine Rache an Haital könnte ebenso zur Selbstzerstörung führen. Darauf wollen Sie doch
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