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Todesfrist

Todesfrist

Titel: Todesfrist
Autoren: Andreas Gruber
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als den Tod verdient.
    »Drücken Sie ab«, flüsterte Sneijder. »Sonst tu ich es.«
    »Ruhe!«
    Ja, sie würde es tun.
    Aber halt endlich die Klappe! Ich tue es, weil ich es will!
    Doch Sneijder schwieg nicht. »Wir sind uns ähnlicher, als Sie denken. Auch Sie wollen einen Killer zur Strecke bringen. Worauf warten Sie? Drücken Sie ab!«
    Die Glock lag schwer in ihrer Hand. Warum konnte sie nicht abdrücken? Es war doch so einfach. Sie hatte tausende Kugeln aus ihrer Walther PPK auf dem Schießstand abgefeuert, und nun konnte sie den Abzug nicht betätigen. Verdammt, was war bloß los mit ihr?
    »Tun Sie es!«, drängte Sneijder.
    Da tanzten die Lichtkegel mehrerer Taschenlampen durch den
Regen. Irgendwo tönte eine blecherne Stimme durch ein Megafon. Sabine ließ die Waffe sinken. Im selben Moment griff Sneijder danach. Es war aus, Carl war geliefert. Dennoch sah sie im Scheinwerferlicht seinen triumphierenden Blick. Er breitete die Arme aus und ließ sich langsam zurückfallen.
    Der fliegende Robert, dachte sie und stürzte im selben Moment vor. Die Dachrinne brach unter Carls Füßen, doch sein Körper zuckte nicht einmal. Steif wie ein Brett ließ er sich rückwärts in die Tiefe fallen. Dann war sie bei ihm und griff nach seinem Pullover und der Hose.
    »Nein!«, rief sie.
    Sie krallte ihre Finger in den nassen Stoff seines Pullis. Ihre Laufschuhe glitten über den feuchten Boden an den Rand des Turms. Im Licht eines Blitzes sah sie in Carls Augen. Was für ein intensives Blau! Sein Blick durchdrang sie, als sähe er auf den Grund ihrer Seele. Sein Mund öffnete sich. Sie hörte keinen Ton, sah nur die Bewegungen seiner Lippen.
    Maria.
    Dann fiel er. Sie musste ihn loslassen, sonst hätte er sie mit sich in die Tiefe gerissen. Mit rudernden Armen stand sie auf der Dachrinne. Ein Donnerschlag krachte. Den Blick himmelwärts gerichtet und die Arme ausgebreitet stürzte Carl in die Tiefe. Immer noch steif, ohne sich im Reflex zusammenzukrümmen. Die Umrisse seines Körpers verschmolzen zur Form eines Kreuzes, das in der Dunkelheit verschwand.
    Sneijder trat an ihre Seite, packte sie an der Hüfte und zog sie zurück. »Es ist vorbei.«
    Im Schein des Blitzes sah sie Carl reglos und winzig klein im Schlamm liegen. Sie drehte sich zu Sneijder, und er nahm sie in die Arme. Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie schluchzte so, dass sie kaum Luft bekam. Sneijder drückte sie an sich. Bisher hatte sie die Trauer um den Tod ihrer Mutter verdrängt. Aber nun konnte sie endlich befreit weinen, weinen, weinen …

     
    Sie wusste nicht, wie lange sie mit Sneijder im Regen gestanden hatte, doch es musste eine Ewigkeit gewesen sein. Als sie den Kopf hob, sah sie in weiter Ferne das Blaulicht mehrerer Einsatzwagen. Mittlerweile waren die Beamten der Wega-Einheit angekommen und hatten den Turm umstellt. Bestimmt hatten auch sie die Schüsse gehört. Einige Männer mit Visierhelmen und schwarzen Uniformen hievten Carls Leichnam auf eine Trage.
    »Alles okay?« Sneijder wartete, bis sie nickte. »Gut, ich muss los.« Er ließ sie am Rand des Turms zurück.
    Sabine fröstelte. Sie musste ihren Vater anrufen, um ihm zu sagen, dass die Sache überstanden war. Als sie in die Tiefe blickte, durchströmte sie eine angenehme Kälte. Sie spürte einen Augenblick vollkommener Klarheit. Die Ereignisse dieser Welt waren völlig verrückt und unlogisch. Sie hatte ihre Karriere riskiert, um einen Kollegen nach Wien zu begleiten, den sie nicht einmal leiden konnte. Statt um ihre Mutter zu trauern, hatte sie sich in die Jagd nach deren Mörder gestürzt. Als sie ihn endlich vor dem Pistolenlauf hatte, konnte sie nicht abdrücken. Es war so irreal. Sie hatte sogar das Leben jenes Mannes retten wollen, der ihre Mutter ermordet hatte. Nun empfand sie für ihn fast genauso viel Trauer wie für ihre Mutter.
    Sie starrte in den Regen, der in kerzengeraden Linien in die Dunkelheit fiel. Plötzlich begriff sie den Sinn all dieser Widersprüche. Die Welt war ein merkwürdiger Ort voller Gegensätze, die man einfach nicht rund bekam. Doch gerade deshalb nahmen die Dinge ihren Lauf.
    Genauso wie in diesem verrückten Gedicht.
    »Dunkel war’s, der Mond schien helle, Eis lag auf der grünen Flur, als ein Wagen blitzesschnelle, langsam um die Ecke fuhr …«

Epilog
    Das Restaurant »Motto am Fluss« sah aus wie ein stromlinienförmiger Luxusliner und lag am Wiener Donaukanal. Ein Tisch musste zwei Wochen im Voraus reserviert werden. Dementsprechend
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