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Todesfrist

Todesfrist

Titel: Todesfrist
Autoren: Andreas Gruber
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Als er Sabine bemerkte, sprang er auf.
    »Stimmt es, was mir deine Kollegen erzählt haben?«
    Sabine nickte.
    »Oh Gott, Eichhörnchen!« Weinend drückte er Sabine an sich, und im nächsten Moment waren ihre Wut und ihr Hass auf ihn verflogen. »Es tut mir so leid«, schluchzte er. »Deine Kollegen wollen mich verhören.«
    Sie ließ ihn los. »Papa, das ist kein Verhör … nur eine Befragung.«

    »Was soll ich denen erzählen?«
    War das zu glauben? Was für eine dämliche Frage! So hilflos kannte sie ihren Vater gar nicht. »Die Wahrheit natürlich«, sagte sie.
    »Die Wahrheit? Ich weiß doch, wie das abläuft«, fauchte er. »Sobald ich erwähne, dass ich seit zwei Tagen von der Entführung deiner Mutter weiß, nageln die mich wegen Beihilfe zum Mord fest, weil ich nichts unternommen habe. Es ist kein Geheimnis, dass wir zwei Jahre lang einen Rosenkrieg geführt haben und seither im Streit leben. Aus der Sache komme ich nicht raus.«
    »Vater!« Leise Panik kroch in ihr hoch. »Du musst die Wahrheit sagen. Verschweige nichts, die kommen sowieso dahinter.« Sie stutzte. »Du hast doch ein Alibi für diesen Abend, oder?«
    Er hob die Schultern. »Ich bin heute Morgen nach München gefahren, in der Hoffnung, dass der Kerl noch mal anruft. Aber er hat sich den ganzen Tag nicht gemeldet, erst abends, und die Wohnung deiner Mutter war aufgebrochen.«
    Sabine packte ihren Vater am Arm. »Du warst dort? Du hast doch nichts angefasst!«
    »Ich … ich weiß nicht.« Er wischte mit der Hand durch die Luft. In diesem Moment wurde die Tür geöffnet. Wallner kam herein. »Herr Nemez?«
    Sabines Vater atmete tief durch und richtete sich stramm auf, als versuchte er, Haltung zu bewahren.
    »Wir müssen Ihnen die Fingerabdrücke abnehmen – nur eine Standardprozedur«, erklärte Wallner. »Und dann haben wir noch ein paar Fragen.«
    Sabine merkte, wie ihr Vater versteinerte und sein Blick kalt wurde.
     
    Während ihr Vater befragt wurde, suchte Sabine das Büro ihres Vorgesetzten auf. Kolonowicz war Ende vierzig und ein Hüne mit breiten Schultern, senffarbenem Haar und Schnauzbart. Aufgrund seiner Fältchen und Augenringe sah er älter aus, als er war.
An manchen Tagen – so auch heute – erinnerte er sie mit seiner Statur und der sonoren Stimme an den Göttervater Zeus. Durch die Lesebrille betrachtete er einen Stapel Fotos. Seine Zigarre qualmte im Aschenbecher. Simon saß neben ihm am Schreibtisch. Sie besprachen den Fall.
    Als Sabine sich räusperte, erhob sich Kolonowicz und ging auf sie zu. Mit seinen Pranken umfasste er ihre Hände. »Bine, tut mir leid. Wenn du möchtest, bringt dich einer der Kollegen nach Hause. Ich gebe dir zwei Tage Sonderurlaub.«
    »Danke, aber ich muss mich jetzt beschäftigen, sonst drehe ich durch.«
    Kolonowicz nickte. »Okay, aber es ist eine ruhige Nacht. Simon sieht sich als Nächstes die Wohnung deiner Mutter an.« Er warf seinem Kollegen einen kurzen Blick zu. »Bine, woher wusstest du eigentlich, dass deine Mutter entführt wurde?«
    Das war die entscheidende Frage, die im Moment wohl jeden beschäftigte. Sie hoffte inständig, dass ihr Vater bei seiner Aussage nichts verheimlichte oder zu beschönigen versuchte. »Mein Vater hat mich darüber informiert.«
    Offensichtlich wollte Kolonowicz sie nicht länger quälen. »Okay«, murmelte er. »Bald wissen wir mehr.«
    »Ich begleite Simon zur Wohnung«, sagte sie rasch.
    »Nein, das erledigt er allein.«
    »Es würde mich ablenken«, widersprach sie.
    »Bine, ich sagte nein  – und jetzt raus!«
     
    Mit verschränkten Armen wartete Sabine vor Simons Wagen. Kurz vor ein Uhr morgens lag die Temperatur bei fünf Grad über null.
    Simon stellte die Koffer neben das Auto und fuhr sich durch das kurze blonde Haar. »War ja klar, dass du hier aufkreuzt.«
    »Das Haus ist nie abgesperrt, aber Mutters Wohnungstür hat ein Sicherheitsschloss.« Von ihrem Vater wusste Sabine, dass die Tür aufgebrochen worden war. Trotzdem klimperte sie mit dem
Schlüsselbund. »Du müsstest den Hausverwalter rausläuten, aber um die Uhrzeit schaffst du das nie.«
    Er nickte. »Von mir aus, steig ein, aber kein Wort zum Chef.« Er konnte sich darauf verlassen, dass sie nichts verraten würde.
    Zwanzig Minuten später kamen sie in der Winzererstraße in Schwabing-West an. Simon parkte vor dem vierstöckigen Wohnhaus aus gelbem Backstein mit kunstvollen Stuckarbeiten. Mondlicht fiel durch die Laubbäume, der schmiedeeiserne Zaun warf kurze Schatten auf
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