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Todesfrist

Todesfrist

Titel: Todesfrist
Autoren: Andreas Gruber
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war mehr als zwei Wochen vordatiert, auf Donnerstag, den 9. Juni – Sabines Geburtstag. Vor der Geburtstagsfeier würde es nun ein Begräbnis geben.
    »Trank deine Mutter ihren Kaffee schwarz?«
    Sabine schob das Geschenk nach hinten und schloss den Schrank. Trank, Vergangenheitsform. Sie spürte Tränen in den
Augenwinkeln und blickte zur Zimmerdecke. »Nur Tee, meistens Twinings … warum?«
    »Hier steht eine halb volle Tasse schwarzer Kaffee.«
    Sabine ging in die Küche. Das rote Lämpchen der Kaffeemaschine, die Mutter nur dann benötigte, wenn Monika und sie zu Besuch kamen, leuchtete. Auf der Arbeitsfläche stand eine Tasse mit Löffel, daneben die Zuckerdose.
    »Er hat Kaffee gekocht und wurde beim Trinken von deiner Mutter überrascht«, folgerte Simon. Er schüttete den Kaffee weg und steckte die Tasse in eine Plastiktüte. »Möglicherweise hilft uns eine Untersuchung im DNS-Labor weiter.«
    Sabine stellte sich vor, wie der Kerl auf ihre Mutter gewartet hatte. Obwohl sie den Gedanken verdrängen wollte, tauchten die Bilder vor ihrem geistigen Auge auf. Er musste ihre Schritte im Treppenhaus gehört haben und war zur Tür gelaufen. Bestimmt waren ihr die Einbruchspuren aufgefallen, aber der Mistkerl hatte sie entweder mit einer Waffe bedroht und in die Wohnung gezerrt oder sie mit einem Betäubungsmittel oder einem Schlag auf den Kopf außer Gefecht gesetzt.
    »Bine, das solltest du dir ansehen.«
    Auf dem Boden lag Mutters schwarze Handtasche. An den Plastikfüßchen der Tasche hafteten weiße Spuren von der Wand. Die Schlieren aus dem Vorraum! Offensichtlich war Mutter bei einem Kampf an die Wand gedrückt worden.
    Der Tascheninhalt lag verstreut auf der Kommode. Simon stocherte mit seinem Leuchtkugelschreiber durch Zigarettenschachtel, Feuerzeug, Geldbeutel, Ausweisetui, Lidschatten, Lippenstift und ein zerlesenes Exemplar von Zweigs Schachnovelle, das zahlreiche Eselsohren aufwies.
    »In der Brieftasche sind knapp zweihundert Euro«, erklärte er. »Unser Mörder hat Geld nicht nötig.«
    Ebenso wenig wie Ohrringe oder Perlenketten. Unwillkürlich dachte Sabine an die Lebensversicherung ihrer Mutter und den ganzen bürokratischen Kram. Oh Gott, konzentriere dich! Simon schob
eine Packung Kaugummis beiseite. Beim Anblick eines in Folie geschweißten Kondoms schoss Sabine die Hitze in den Kopf. Hatten sie das Recht, in die Intimsphäre ihrer Mutter einzudringen?
    »Fehlt was?«, fragte Simon.
    »Handy und Adressbuch«, erwiderte Sabine.
    Damit hatte er ihren Vater kontaktiert.
    Plötzlich begriff sie, warum der Mörder ihren Vater ausgewählt hatte. Sie stürzte von der Küche ins Schafzimmer. Das Fenster war gekippt, das Bettlaken frisch überzogen. Trotzdem roch es nach Mutters Parfüm. Auf der Kommode neben dem Schminkspiegel standen die gerahmten Fotos von Sabine, Monika und ihren drei Nichten. Weil Sabine darauf gedrängt hatte, befand sich dort auch ein Foto von ihrem Vater – beim letzten gemeinsamen Urlaub an der Nordsee, braun gebrannt, mit Sonnenhut und einem strahlenden Lächeln. Sabine saß auf seinen breiten Schultern, balancierte einen Eisbecher in der Hand und trug seine schwarze Lokführermütze, die ihr über die Augen rutschte. Bis heute war es ihr Lieblingsfoto.
    Glasscherben lagen auf dem Teppich. Jemand hatte das Bild aus dem Rahmen gebrochen.

4
    Mit einem Ruck setzte sich Helen Berger im Bett aufrecht hin. Ihr Herz raste. Draußen glänzte ein silberner Streifen am Horizont. Wo stand der verdammte Wecker? Sie tastete über den Nachtschrank und stieß gegen ein loses Manuskript. Der Papierstapel rutschte auf den Teppichboden. Ein Sachbuch über dissoziative Persönlichkeitsstörung, das sie seit zwei Wochen abends Korrektur las, wenn Frank neben ihr schlief. Bestimmt war das Lesezeichen rausgefallen … Das Rascheln hatte Frank nicht geweckt. Typisch! Er schnarchte leise neben ihr. Endlich fand sie den Wecker und drückte auf die Leuchttaste. 04:58 Uhr. Zu früh für den Zeitungsjungen. Außerdem klang Dustys Bellen anders als sonst.
    Helen hob die Beine aus dem Bett und lauschte. Dustys Knurren nahm einen bedrohlichen Ton an. Normalerweise lief er nachts nie durch die Hundeklappe nach draußen. Doch jetzt musste er am Rand des Grundstücks sitzen und irgendetwas auf der Straße oder dem Feld ankläffen. Zumindest hörte es sich durch das gekippte Fenster so an. Dabei war gar nicht Vollmond.
    Helen schlüpfte in den kurzen Morgenrock und schlich aus dem Schlafzimmer. Wolken
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