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Todesengel (Gesamtausgabe)

Todesengel (Gesamtausgabe)

Titel: Todesengel (Gesamtausgabe)
Autoren: H.L. WEEN
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seinem Bauer an einem Hirsekolben knabberte, doch der gefiederte Freund würdigte ihn keines Blickes und so schlurfte der Zweizentnermann missmutig in die Küche, in der er wenigstens eine Schachtel mit Streichhölzern vermutete. Auf halbem Wege läutete das Telefon und er nahm sich fest vor, das Klingeln zu ignorieren. Seine Frau, die seit zwölf Tagen bei ihrer kranken Mutter im Münsterland weilte, hatte erst am Morgen angerufen und von seinen Kollegen im LKA wollte er heute unter keinen Umständen gestört werden.
    In der Küche angekommen, fand er das vermisste Feuerzeug zu seiner Überraschung auf Anhieb, fragte sich nur, wie es dahin gekommen war und im selben Augenblick gab der Anrufer seine Bemühungen auf.
    „Stört es dich, dass ich rauche?“, fragte er wenig später scherzhaft den Vogel und zündete sich trotz dessen wütenden Protests die Zigarre an, als das Telefon wieder zu läuten anfing. Noch immer war er unschlüssig, ob er das Gespräch entgegennehmen sollte, doch dann ging ihm durch den Kopf, dass sich der Gesundheitszustand seiner Schwiegermutter verschlechtert haben konnte und Carmen vielleicht seinen Rat brauchte und so erhob er sich wieder von der Couch und nahm sich auf dem Weg zum auf einem Tischchen im Korridor stehenden Telefonapparat vor, das vorsintflutartige Gerät bei nächster Gelegenheit durch ein Modell mit Mobilteil zu ersetzen. Dann nahm er den Hörer ab, knurrte ein: „Ja?“ in die Sprechmuschel und ärgerte sich gleich darauf für seine Nachgiebigkeit, weil er die Stimme der Oberkommissarin Mirjam Berndt hörte, die von ihrem Diensthandy mit ihm telefonierte und aufgeregter als sonst wirkte:
    „Ich weiß ja, Chef, dass Sie frei haben, aber Sie müssen trotzdem unbedingt herkommen! Die Jungs vom örtlich zuständigen Kommissariat haben den Fall gleich nach dem Leichenfund an uns abgegeben und Frankenstein meint auch, dass Sie sich die Sache anschauen sollten! So etwas haben Sie noch nicht gesehen!“
    Becker spürte, dass er, freier Tag hin, freier Tag her, am Tatort gebraucht wurde, weil das Küken seines Teams ihn nur in Stresssituationen siezte, seit er ihr auf der Weihnachtsfeier vor drei Monaten näher gekommen war, als es sich für einen langjährig verheirateten Mann ziemte.
    „Nun mal langsam“, beruhigte er die Oberkommissarin, „erzähl mir alles der Reihe nach!“
    „Es geht um einen Mann! Geschlachtet! Im Ruhwaldpark!“, stammelte die Kollegin nach einigen Sekunden der Stille und Becker bellte ein knappes: „Ich komme!“ ins Telefon, eilte ins Bad, wusch sich oberflächlich und verließ zehn Minuten später das Reihenhaus am westlichen Stadtrand, in das er mit seiner Familie vor vier Jahren gezogen war.
    Auf dem Weg in die Innenstadt überlegte er kurz, ob er von seinen Sonderrechten Gebrauch machen und das Blaulicht einschalten sollte, verzichtete dann aber zunächst auf dieses Privileg, weil er einige Minuten brauchen würde, um sich auf die neue Situation einzustellen. Was würde ihn in der Grünanlage zwischen Spree und Spandauer Damm erwarten? Das Opfer eines Raubmordes, für den ein Stricher verantwortlich zeichnete? Das unglückliche Objekt eines satanischen Rituals? Oder hatte sich der Tote auf riskanten Sex eingelassen und das Spiel war außer Kontrolle geraten?
    Becker fragte sich nicht zum ersten Mal, was in die früher so prüde Gesellschaft gefahren war, woran es lag, dass es keine Tabus mehr gab und jede denkbare Sauerei ausprobiert werden musste. Besonders irritierte ihn, dass dabei Gewalt eine immer größere Rolle spielte. Mitunter im Einverständnis zwischen den handelnden Personen wie beim bizarren Kannibalismusfall von Rotenburg, oft genug aber mit Frauen und Mädchen, die den Sadismus ihrer Peiniger höchst unfreiwillig zu spüren bekamen und manchmal sogar mit dem Leben bezahlten. Vielleicht, dachte er, befindet sich unsere Zivilisation im Siechtum und wir erleben dasselbe, was im alten Rom passierte, als es mit diesem Imperium langsam, aber sicher bergab ging.
    Vor ihm staute sich jetzt zunehmend der Verkehr und er griff kurz entschlossen nach dem mobilen Blaulicht, befestigte es auf dem Wagendach und schaltete es ein, ließ zudem das Signalhorn ertönen und schon bildete sich wie von Geisterhand eine Gasse und er konnte seinem VW Passat, der schon über zehn Jahre auf dem Buckel hatte, ungehindert die Sporen geben. Zehn Minuten später erreichte er den Ruhwaldpark, vor dem Mirjam schon am Straßenrand auf ihn wartete, ließ sich von
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