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Tod in St. Pauli: Krimi Klassiker - Band 1 (German Edition)

Tod in St. Pauli: Krimi Klassiker - Band 1 (German Edition)

Titel: Tod in St. Pauli: Krimi Klassiker - Band 1 (German Edition)
Autoren: Irene Rodrian
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linken Schranktür sah er ein Gesicht, das er nicht kannte. Lang und schmal, mit umränderten Augen, staubigem schwarzem Haar, einem Riß an der Stirn und einem geschwollenen Kinn, das sich schon leicht verfärbte. Er ging ganz nah an den Spiegel hin, aber das Gesicht blieb ihm fremd.
    Er begann sich auszuziehen und die Schrammen und Platzwunden an seinem Körper zu untersuchen. Er vermied es, noch einmal in den Spiegel zu schauen und zog die Schubladen auf. Er fand Handtücher, Verbandzeug, Rasier- und Waschkram und etwas frische Wäsche. Franz hatte an alles gedacht.
    Paul seifte sich ab, rieb sich flüchtig trocken und klebte sich Pflaster auf, ohne recht hinzuschauen. Dann zog er ein frisches Hemd an und die verdrückten Anzughosen.
    Einen Augenblick lang blieb er unschlüssig stehen, hockte sich dann vor den Koffer und ließ den Deckel zurückklappen. Er holte den dicken Pullover heraus und zog ihn trotz der Hitze über.
    Das braune Geldkuvert sah mit einer Ecke aus der Seitentasche heraus. Er nahm es und fuhr mit dem Zeigefinger unter die Klappe.
    Das Geld war fort.
    Langsam und sehr sorgfältig riß er das Papier in kleine Fetzen. Er hätte gern geweint. Oder wäre gern wütend gewesen.
    Nichts. Nur Hunger, Müdigkeit und das dumpfe Pochen in seiner linken Kinnseite.
    Er stand auf, faßte nach den paar Münzen in seiner Hosentasche und ließ sie durch die Finger klimpern, ohne sie herauszuholen. Mit der Fußspitze schlug er den Deckel zu, stieg über den Koffer und ging hinaus.
    Im Treppenhaus schlug ihm der donnernde Lärm eines Fußballspiels entgegen. Er blieb im Parterre vor der letzten Tür stehen und drückte auf den Klingelknopf über dem Kupferschildchen Heinrich Martens – Hausmeister.
    Das einzige Geräusch, das ihm antwortete, war die erregte Stimme des Sportreporters und das hysterische Aufschreien der Zuschauermenge. Paul läutete ein zweites Mal. Diesmal lang und anhaltend.
    Die Tür wurde so heftig aufgerissen, daß er erschrak. Zusammen mit der Lärmwelle kam eine Männerstimme:
    »Verdammt, was ist denn jetzt schon wieder?«
    »Guten Abend, Martens«, sagte Paul.
    Der andere beugte sich weiter vor, machte den Mund auf und wich dann plötzlich zurück.
    »Paul!« flüsterte er.
    Paul nickte schweigend. Martens sah ihn an. Hinter ihm, in der hellerleuchteten Wohnung, brüllte eine Menschenmenge aus dem Fernsehapparat.
    »Komm rein«, sagte Martens und ging in seine Wohnung. Er blieb vor dem flimmernden Kasten stehen, zögerte kurz und schaltete dann den Ton ab.
    »Tut mir leid, daß ich Sie bei der Fußballübertragung störe!« sagte Paul und schloß die Tür hinter sich.
    Martens lachte nervös und schlurfte durch das Zimmer, ohne dabei die blaue Mattscheibe aus den Augen zu lassen, auf der die bleistiftgroßen Fußballer jetzt wie lautlose Phantome über den Platz jagten. Vor der zweiten Tür blieb Martens stehen.
    »Willst du ein Bier?«
    Paul schwieg. Martens war nicht der alte Mann aus seiner Erinnerung. Sie hatten ihn Opa Martens genannt, aber er war höchstens sechzig. Kahlköpfig und gebeugt, aber muskulös und zäh, und mit einem gebrochenen Nasenbein aus seiner Zeit als Berufsboxer. Martens wiederholte die Frage.
    Paul schüttelte den Kopf. »Ich möchte nur eine Auskunft.«
    »Mein Gott, Junge, du bist gewachsen!« stotterte Martens unbeholfen und kam in den Wohnraum zurück. »Ich muß fast Sie zu dir sagen, wie Herr Petersen?«
    »Mich interessiert nur, wer so genau wußte, daß ich heute komme und daß ich wieder hier wohnen werdeMord an Bord Paul preßte die Kiefer zusammen, um nichts mehr zu sagen.
    »Wer es wußte?« Martens ließ sich schwer in einen mit geblümtem Stoff bezogenen Sessel sinken. »Ich wußte es.« Er sah gebannt auf den Bildschirm.
    »Von wem?«
    »Nun, Franz hat dein Zimmer bezahlt und dir ein paar Kleinigkeiten raufgelegt ...«
    »Ich weiß. Ich mußte einen Namen angeben, sonst hätte mir der Bewährungshelfer ein Zimmer besorgt. Franz meine ich nicht. Wer wußte es noch?«
    Martens schaute an Paul vorbei und ruckte plötzlich nach vorn, auf den Fernsehapparat zu. Er blinzelte und streckte die Hand aus, um den Tonknopf zu erreichen. »Sah eben aus wie ein Tor!« murmelte er.
    Paul machte einen langen Schritt und bückte sich. Er drehte zuerst nach der falschen Seite, der Lärm jaulte auf und starb dann mit einem dünnen Surren. Das Bild zog sich zu einem silbernen Strich zusammen und verschwand. Paul lehnte sich gegen den Apparat und sah Martens
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