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Tod in Innsbruck

Tod in Innsbruck

Titel: Tod in Innsbruck
Autoren: Lena Avanzini
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Warum hat sie nicht aufgehört?«
    »Keine Ahnung.«
    »Ich dachte, ihr wart Freundinnen. Isa hat zwei Jahre mit dir zusammengewohnt, ist in deine Klasse gegangen, hat sich dem Klavier verschrieben. Wie du.«
    »Schon.« Bernie kratzte sich am Kinn und erwischte einen Pickel, der zu bluten begann.
    »Bestimmt habt ihr irgendwann darüber gesprochen.«
    »Nicht so richtig.«
    Vera suchte Bernies Blick, aber sie wich aus. »Es wäre sehr wichtig für mich. Das verstehst du doch, oder?«
    »Sie hat mal gesagt, sie hört erst mit dem Abnehmen auf, wenn ihre doofen Kamelhöcker verschwunden sind.« Sie deutete auf ihre Brüste. »Dabei war da kaum was, bei Isa.«
    Vera erstarrte. Was bedeutete das? Dass Isa sich geweigert hatte, eine Frau zu werden?
    »Hatte sie eigentlich einen Freund?«, fragte Vera so beiläufig wie möglich. »War sie verliebt?«
    Röte zog über die Wangen des Mädchens. »Weiß nicht. Mir hat sie es nicht erzählt, ehrlich nicht.« Sie drehte ihren Kopf weg und starrte aus dem Fenster.
    Wut kroch in Vera hoch. Sie musste sich zusammennehmen, um die Kleine nicht zu schütteln. Du lügst. Du verschweigst was.
    »Ich muss jetzt zur Schule.« Bernie stand auf, steckte das Buch und die Stifte in den Rucksack und ging zur Tür. »Vielleicht kann Sarah dir weiterhelfen. Sie war viel mit Isa zusammen.«
    »Warte!«
    Bernie hielt inne, die Türklinke in der Hand.
    »Ich werde Isas Sachen mitnehmen. Möchtest du etwas haben? Als Andenken?«
    Das Mädchen überlegte. Dann leuchteten ihre Augen plötzlich auf. Sie schielte zu dem Esel auf Isas Bett. »Fritzi vielleicht?«
    Vera wunderte sich. Sie hatte mit sechzehn alles Mögliche im Kopf gehabt, Ausgehen, Abtanzen, Jungs, den ersten Joint. Bestimmt keine Plüschtiere. »Okay.«
    »Danke, Vera. Mach’s gut.« Bernie öffnete die Tür.
    »Warte!«
    Mit gehobenen Brauen sah sie Vera an.
    »Du bist keine fette Kuh, hörst du? Versprich mir, dass du niemals so eine Diät machst wie meine Schwester.«
    Bernie nickte.
    Als sie gegangen war, legte Vera Isas Kleider zusammen und packte sie in einen Koffer. Die Schulsachen, Bücher und anderen Habseligkeiten füllten einen zweiten.
    Sarah, die Geigerin. Ich muss mit ihr reden. Und hoffen, dass sie gesprächiger ist als Bernie .

ZWEI
     
    Hamburg-Ohlsdorf
     
    Am Tag der Beerdigung drückte der Himmel bleigrau auf die alten Linden des Ohlsdorfer Friedhofs. Windböen zerrten an den Schleifen der Kränze, und von einem Nachbargrab verströmten verrottende Begonien ihr süßliches Parfum, das Vera an den Geruch im Seziersaal erinnerte. Die Hanfseile ächzten, als Isabels Sarg in die Grube gelassen wurde.
    Als ob er zentnerschwer wäre. Dabei ist nur ein Häufchen Haut und Knochen darin.
    Die Obduktion hatte Dr. Eberharters Vermutungen bestätigt. Ein Herzfehler, an sich harmlos. Aber in Kombination mit Isas geschwächter Konstitution und der übermäßigen Anstrengung hatte er zum Tod geführt. Schon einen Tag nach Isas Tod wurde ihr Leichnam freigegeben. Ein Hamburger Bestattungsinstitut schickte einen Leichenwagen nach Innsbruck. Der Fahrer holte Isa in der Pathologie ab und überführte sie nach Hamburg. Vera hatte er gleich mitgenommen.
    Nun stützte sie ihre Mutter, die gebeugt ging, als wäre sie innerhalb der letzten Tage um Jahre gealtert. Mutter bückte sich. Sie warf eine Schaufel voll Erde auf den Sarg. Der Aufprall der Erdklumpen auf dem Fichtenholz klang endgültig und unwiderruflich wie ein Hammerschlag.
    Der Reihe nach defilierten die Trauergäste zum Grab, nahmen die Schaufel und taten es Mutter nach. Das dumpfe Prasseln schlug den Nachfolgenden den Takt.
    Vater stand abseits. Er nahm die Kondolenzbekundungen entgegen. Seine Hand kroch automatisch vor, fiel in die Hand des Gegenübers und ließ sich schütteln. Seine Lippen murmelten Dank, doch die Augen starrten ins Leere. Während der Schmerz Mutter wie Falten ins Gesicht geschrieben war, trug Vater ihn in seinem Innersten verschlossen. Für Vater würde es am schwersten werden.
    Den Schluss des Trauerzugs bildeten vier von Isas ehemaligen Hamburger Mitschülerinnen. Jede ließ eine weiße Rose ins Grab fallen. Isa hatte weiße Rosen geliebt.
    Bei ihrem ersten öffentlichen Klavierabend hatte sie ein cremefarbenes Kleid mit Puffärmeln und aufgenähten Seidenrosen getragen. Damals war sie vierzehn und übte bereits fünf Stunden täglich Klavier, neben der Schule. Ihr Herz schlug für Chopin und Rachmaninow, ihre Pupillen waren Notenköpfe. Das Konzert
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