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Tod im Apotherkerhaus

Tod im Apotherkerhaus

Titel: Tod im Apotherkerhaus
Autoren: Wolf Serno
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gepanzerten Käfer, eine daumennagelgroße Spinne, einen kleinen Frosch, ein asselähnliches Krabbeltier, zwei ineinander verschlungene Würmer und eine haarige Raupe. Und zu jeder der seltenen Kostbarkeiten erzählte er eine Geschichte. Das Interesse seiner Besucher steigerte sich von Mal zu Mal.
    Gottwald zeigte noch mehr Steine. Darin Blüten, die der Beschaffenheit nach an Löwenmaul erinnerten, dazu gezahnte und gefiederte Blätter, Bucheckern und Eicheln, Gräser, Rispen und Ähren. »Mein Begleiter möchte wissen, wie alt die Stücke sind«, sagte
    Areskin. »Wann beispielsweise ereilte diese Ameise ihr Schicksal?«
    Der Hausherr holte tief Luft. Die Frage hatte er kommen sehen. Es war eine der wenigen, auf die er keine Antwort wusste. Er hätte es sich leicht machen und mit der Kirchenlehre antworten können, nach der die Erde in sechs Tagen erschaffen worden war und nur wenige tausend Jahre zählte. Er hätte daraus ableiten können, dass demzufolge auch seine Exponate nicht älter sein konnten, aber das wäre unwissenschaftlich gewesen, und er war ziemlich sicher, dass die Herren sich mit einer solchen Erwiderung nicht begnügen würden. »Es muss zu einer Zeit geschehen sein, als es an den Gestaden der Ostsee ganz anders aussah als heute«, sagte er. »Dichte Wälder standen damals hier, Nadelbäume, Bäume mit einer Rinde, aus der in dicken Tropfen ständig Harz austrat. Mal krochen sie langsam über das Geäst, mal fielen sie zu Boden - auf eine Flora und Fauna, die der unseren heute nicht unähnlich ist. Es mag zehn mal zehntausend Jahre her sein, als das passierte, vielleicht auch zehntausend mal zehntausend Jahre, wer will das wissen außer Gott. Richtet Euer Augenmerk noch einmal auf die von Euch bezeichnete Ameise: Sie ist zweifelsohne eine Vertreterin ihrer Art, und doch weicht einiges an ihrem Körper von den bekannten Spezies ab. Ich bin sicher, dass es auf der ganzen Welt kein lebendes Tier wie dieses gibt, einfach deshalb, weil es uralt ist.« Areskin und sein Begleiter schwiegen beeindruckt. »Gestattet mir, das Exponat zurückzulegen. Bernstein ist lichtempfindlich, müsst Ihr wissen, zu viel Helligkeit trübt das Material. Mit dem Licht ist es überhaupt so eine Sache: Einerseits braucht man genügend davon, um seine Schätze untersuchen zu können, andererseits muss man damit geizen. Alle meine Exponate ruhen im Dunklen und unter Verschluss, und zwar nach einem bestimmten Ordnungsprinzip, das ich Euch gern erläutern will ...« »Das wird nicht nötig sein«, fiel Areskin dem Hausherrn ins Wort. »Jedenfalls nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Sagt, was steckt in jenem Stein dort?« Er wies auf ein besonders großes, längliches, sehr transparentes Stück.
    Gottwald zögerte. »Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Ich weiß es nicht genau, weshalb ich Euch auch nicht besonders darauf aufmerksam machte. Der Inhalt sieht aus wie ein silbriger, ebenmäßig gebogener Zweig, der an einem Ende nadelspitz zuläuft; vielleicht ist es aber auch nur eine ungewöhnlich lange Tannen- oder Kiefernadel.«
    »Meinen Begleiter erinnert der Einschluss eher an die Miniatur eines Samuraischwerts.«
    »Eines Samuraischwerts? Oh, welch ein treffender Vergleich! Darauf bin ich in der Tat noch nicht gekommen«, gab der Hausherr sich erneut begeistert. Doch insgeheim gratulierte er sich. Der mächtige Herr hatte erstmals eine Meinung geäußert! Das musste ein gutes Zeichen sein. Gottwald beschloss, näher auf die Assoziation einzugehen, auch auf die Gefahr hin, von seinen Verkaufsobjekten abzulenken. »Nun, Herr Areskin, sollte Euer Begleiter sich zu fernöstlicher Kultur hingezogen fühlen, darf ich auf das hiesige Museum des Doktor Johann Breyn verweisen, das für seine japanische Flora< berühmt ist. Auf Wunsch werde ich die Herren gern mit ihm bekannt machen. Es wird ihm sicherlich eine Ehre sein, eine gesonderte Führung zu arrangieren.«
    Während er das sagte, wagte Gottwald zum ersten Mal, dem Riesen direkt ins Gesicht zu sehen. Er las darin kein nennenswertes Interesse, was ihn verwunderte, denn der Herrscher galt als ein Mann, dessen beweglicher Geist sich von vielem fesseln ließ, unter anderem von Artilleriewesen, Festungsbau, Schmiedekunst, Schiffbau, Navigation, Astronomie und technischen Apparaten aller Art. Ja, es hieß sogar, er habe als Chirurg und Zahnarzt gearbeitet, und als Überbleibsel letzterer Tätigkeit verwahre er ein Säckchen voller Zähne, die er selbst gezogen hatte.
    Gottwald räusperte
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