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Tod eines Fremden

Titel: Tod eines Fremden
Autoren: Anne Perry
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Baltimore hatte an seinem Tisch gesessen und mit hochrotem Gesicht, schockiert und wütend, den Kopf geschüttelt, während er den Brief schrieb, den Monk ihm diktierte, und ihn schließlich unterschrieb. Sonnenstrahlen hatten die abgetragenen Stellen des üppigen grünen Teppichs hervorgehoben. Die Bücher auf den Regalen waren in Leder gebunden, der Schreibtisch aus poliertem Walnussholz. Das war endlich das fehlende Stück! Das war es! Jetzt ergab alles einen Sinn.
    Jarvis Baltimore blickte ihn mit großen, runden Augen erstaunt an, sein Brustkorb hob und senkte sich, er rang nach Luft. Er schluckte und wollte sich räuspern. »Was … was sagen Sie da? Dass der Unfall in Liverpool …« Er unterbrach sich, da er die Worte nicht über die Lippen brachte.
    »Ja«, sagte Monk barsch. Er hatte keine Zeit, die Gefühle seines Gegenübers zu schonen. »Der Unfall wurde dadurch ausgelöst, dass Ihre Bremsen versagten. In diesem Sonderzug waren zweihundert Kinder!« Er sah, dass Baltimore das Blut aus den Zügen wich, bis er weiß war. »Und in diesem Zug hier sitzen bestimmt rund hundert Leute. Befehlen Sie dem Lokführer anzuhalten, solange Sie noch können.«
    »Welches Geld?«, fragte Baltimore, der es nicht wahrhaben wollte und den Kopf schüttelte. »Woher sollten Sie genug Geld haben, um eine Untersuchung zu beeinflussen? Das ist absurd. Sie versuchen … ich weiß nicht, warum … etwas zu vertuschen. Sie haben Dundas' Geld gestohlen. Sie hatten alles in Verwahrung! Sie haben nicht mal seiner Witwe etwas übrig gelassen – verdammt!«
    »Dundas' Geld!« Monk hatte Mühe, ihn nicht anzubrüllen. Sie schaukelten beide vor und zurück. Der Zug wurde immer schneller. »Er war einverstanden. Sie glauben doch nicht, dass ich es sonst angerührt hätte. Der Mann war im Gefängnis, nicht tot. Ich habe ihnen alles gegeben, was da war, bis auf das wenige für seine Frau, zum Teufel – es war nicht viel! Ich musste fast alles Geld darauf verwenden, damit sie die Wahrheit verschwiegen.«
    Baltimore kämpfte immer noch dagegen an. »Dundas war ein Hochstapler. Er hatte die Gesellschaft bereits betrogen …«
    »Nein, hat er nicht!« Da war die Wahrheit endlich, klar und deutlich wie der Sonnenaufgang. »Er war unschuldig! Er hat Ihren Vater gewarnt, dass die Bremsen nicht ausreichend getestet waren, aber niemand hat auf ihn gehört. Er hatte keinen Beweis, aber er hätte ihn beschaffen können, doch dann hat man ihm den Betrug angehängt, und danach hat ihm niemand mehr geglaubt. Er hat es mir gesagt … aber ich konnte nichts tun. Sein Wort zählte nicht mehr, denn er war schon gebrandmarkt.«
    Baltimore schüttelte den Kopf, aber der Widerspruch erstarb ihm auf den Lippen.
    »Alles Geld, das ich zusammenkratzen konnte, ging dafür drauf«, fuhr Monk fort. »Aber es hat den Ruf der Gesellschaft gerettet. Und Ihr Vater drohte, er würde mit mir genauso verfahren wie mit Dundas, wenn ich es nicht schaffen würde. Den Zugführer konnte man nicht mehr verklagen. Also besser, es ihm anzuhängen, als dass alle anderen ihre Arbeit verloren. Im Gegenzug kümmerten wir uns um seine Familie.« Er schämte sich. »Aber richtig war es nicht. Es war ja nicht seine Schuld … es war Ihr Vater. Und jetzt sind Sie dabei, das Gleiche zu tun … außer, Sie halten den Zug an.«
    Baltimores Kopfschütteln wurde heftiger, sein Blick war wie irr, seine Stimme schrill. »Aber wir liefern diese Bremsen nach ganz Indien! Es gibt Bestellungen in Höhe von mehreren zehntausend Pfund!«
    »Rufen Sie sie zurück!«, schrie Monk ihn an. »Aber zuerst sagen Sie dem Lokführer, er soll den verdammten Zug anhalten, bevor die Bremsen versagen und wir vom Viadukt stürzen!«
    »Tat… tatsächlich?«, fragte Baltimore heiser. »Beim Test haben sie wunderbar funktioniert. Ich bin doch kein Idiot!«
    »Sie versagen nur bei Gefälle und bei einiger Belastung«, erklärte ihm Monk, für den sich mehr und mehr Teile zu einem Erinnerungsbild zusammensetzten. Diese Dringlichkeit hatte er doch schon einmal empfunden, das Rattern der Räder über die Schwellen gehört, die brausende Bewegung gespürt, das bevorstehende Unheil im Voraus geahnt.
    »Die meiste Zeit funktionieren sie ausgezeichnet«, fuhr er fort. »Aber wenn das Gewicht und die Geschwindigkeit ein bestimmtes Maß überschreiten und wenn dann noch eine Kurve hinzukommt, dann halten sie nicht. Dieser Zug ist um einiges schwerer als gewöhnlich, und vor dem Viadukt ist eine solche Stelle. Wir können
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