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Tod den Unsterblichen

Tod den Unsterblichen

Titel: Tod den Unsterblichen
Autoren: Frederik Pohl
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redenden, wogenden Menschenmenge stehen und hielt nach Master Carl Ausschau. Als er ihn erblickte, machte der Dekan gerade einer seltsam aussehenden, betagten Gestalt seine Aufwartungen – St. Cyr, Präsident der Universität. Cornut war verblüfft. St. Cyr war ein alter und allem Anschein nach kranker Mann, der sich nur selten bei einem Fakultätstee sehen ließ. Immerhin war das hier ein besonderer – und auf alle Fälle könnte es ihm dadurch wesentlich leichter gelingen, von der Liste gestrichen zu werden.
    Cornut drängelte sich zu ihnen, an einem stockbetrunkenen Philologen vorbei, der einer geduldigen Studentenserviererin Geilheiten zuflüsterte, und bahnte sich den Weg durch eine Gruppe von Anatomen.
    »Ist dir aufgefallen, was für anständige Leichen wir in letzter Zeit bekommen? Seit dem letzten Feuerwaffenkrieg sind sie nicht mehr so gut gewesen. Natürlich taugen sie nur für die Geriatrie, aber das ist selektive Euthanasie für dich.«
    »Können Sie nicht aufpassen, was Sie mit diesem Martini anstellen?«
    Cornut stieß nur langsam zu Master Carl und Präsident St. Cyr vor. Je näher er kam, desto leichter konnte er sich bewegen. Es waren weniger Leute an St. Cyrs Saalende; er war zwar der Mittelpunkt der Zusammenkunft, aber die Gäste drängten sich nicht um ihn; er war so ein Typ.
     
    St. Cyr war folgender Typ: der häßlichste Mann im ganzen Saal.
    Es gab andere, die keineswegs hübsch waren – sondern alt oder fett oder krank. Aber St. Cyr war etwas Besonderes. Sein Gesicht war der Inbegriff der Häßlichkeit. Tiefe alte Narben bildeten ein Netz auf seinem Gesicht wie das lockere Gewebe, in das ein Käse verpackt wird. Eine Operation? Keiner wußte es. Er hatte sie schon immer. Und seine Haut war zyanblau.
    Master Greenlease (Physikalische Chemie) und Master Wahl (Anthropologie) standen bei ihm. Wahl zweifellos nur, weil er so betrunken war, daß es ihm nichts ausmachte, mit wem er sprach; Greenlease, weil Carl ihn beim Ellenbogen festhielt und nicht losließ. St. Cyr nickte Cornut viermal zu wie ein Pendel. »Schö-nes Wet-ter«, sagte er wie eine schlagende Uhr. »Ja, so ist es, Sir. Entschuldigen Sie mich bitte. Carl …«
    St. Cyr hob die Hand, die an seiner Seite hing, und legte sie schlaff in Cornuts Hand – das war seine Version des Händeschüttelns. Er öffnete seinen narbigen Mund und stieß eine Reihe tonloser Knacklaute aus – das war seine Version des Kicherns. »Für Ma-ster Wahl wird es Schlechtwetter geben«, sagte er, wobei er die Silben wie ein Metronom tickte. Das war seine Version eines Witzes.
    Cornut schenkte ihm ein wächsernes Lächeln und ein leises wächsernes Lachen. Die Bemerkung bezog sich auf die Tatsache, daß auch Wahl die Studienreise mitmachen sollte. Cornut fand sie nicht komisch – jedenfalls nicht von seiner Warte aus, denn er hatte genug andere Dinge im Kopf.
    »Carl«, sagte er, »entschuldige bitte.« Aber auch Master Carl hatte andere Dinge im Kopf; er zog Greenlease – Gott weiß warum – Informationen über die Molekularstruktur aus der Nase. Außerdem hatte St. Cyr seine Hand nicht losgelassen.
    Cornut murrte innerlich und wartete. Wahl kicherte über irgendeinen Fakultätswitz, den St. Cyr sich wie ein Richter anhörte. Cornut ersparte es sich hinzuhören und dachte über St. Cyr nach. Natürlich ein komischer alter Kauz. Damit fing es an. Manche seiner Eigentümlichkeiten konnte man, sagen wir, einem schwachen Herzen zuschreiben. Das wäre ein Grund für seine Bläue. Aber könnte der Grund sein, sich daran nicht operieren zu lassen?
    Und wie verhielt es sich mit allem anderen? Der ausdruckslosen Miene? Der leblosen Stimme mit den deutlich artikulierten Endungen und Wörtern ohne jegliche hervorgehobene Silbe? St. Cyr sprach wie ein Automat. Oder wie ein Tauber?
    Aber was wäre der Grund, um taub zu bleiben?
    Besonders für einen Mann, dem eine Universität gehörte, einschließlich einer Universitätsklinik mit 800 Betten.
    Wahl bemerkte endlich Cornuts Anwesenheit und klopfte ihm auf die Schulter – herzlich, entschied Cornut nach kurzem Nachdenken. »In letzter Zeit irgendwelche guten Selbstmorde verübt, alter Knabe?« Er hatte den Schluckauf.
    »Mache Ihnen keine Vorwürfe. Ihre Schuld, Präsident, wissen Sie, weil Sie ihn mit uns nach Tahiti schleppen. Er mag Tahiti nicht.«
    Cornut sagte beherrscht: »Die Expedition geht gar nicht nach Tahiti.«
    Wahl zuckte die Achseln. »So wie wir Anthropologen es sehen, ist eine gottverlassene Insel
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