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Tod an der Ruhr

Tod an der Ruhr

Titel: Tod an der Ruhr
Autoren: Peter Kersken
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Unding.«
    »Vielleicht haben die zuständigen Behörden Ihren Argumenten nicht ganz getraut, Herr Vorsteher. Dass der Hüttenarzt für vier- bis fünftausend Arbeiter zuständig ist, das haben sie vielleicht für übertrieben gehalten.«
    »Was wollen Sie denn damit andeuten?«
    »Nichts weiter, Herr Vorsteher«, beeilte Grottkamp sich zu sagen. »Ich überlege nur, warum die Herren Militärs Ihre gewichtigen Einwände einfach so vom Tisch gefegt haben.«
    »Nein, nein, Grottkamp! Jetzt liegen Sie schief! Die Hüttengewerkschaft Jacobi, Haniel & Huyssen hat nun mal einen einzigen Arzt für ihre drei Werke angestellt, für unsere Gutehoffnungshütte, für das Hüttenwerk Oberhausen und für die Antonyhütte in Osterfeld. Also, so um die viertausend Arbeiter sind das mindestens, die der Herr Werksmedikus derzeit zu betreuen hat.
    Nein, Grottkamp, das Problem ist doch ein ganz anderes. Wenn es ums Militärische geht, dann sind die Belange der Zivilbevölkerung schlichtweg bedeutungslos.
    Haben Sie sich mal gefragt, warum Sie auf den Straßen von Sterkrade so viele junge Männer herumlaufen sehen, obwohl Preußen sich im Krieg befindet? Nein? Ich will es Ihnen trotzdem sagen.
    Wenn die Herren Hüttendirektoren ihre Arbeiter reklamieren, dann ist die Militärbehörde großzügig. Dabei geht es nicht nur um Kanonenkugeln, die in der Antonyhütte gegossen werden. Nein, auch der Eisenbahnbau und der Brückenbau sind für die Herren Militärs äußerst wichtige strategische Angelegenheiten. Der Hüttenbetrieb, der muss auf jeden Fall weitergehen, auch in Kriegszeiten. Ob die Zivilbevölkerung währenddessen von Seuchen dahingerafft wird, das interessiert das Offizierscorps seiner königlichen Majestät nicht im Geringsten.«
    »Herr Vorsteher, Herr Vorsteher, jetzt rütteln Sie aber an den Grundpfeilern der preußischen Staatsordnung.«
    Overberg seufzte vernehmlich. »Sie haben ja recht, Grottkamp, Sie haben ja recht. Aber wenn man in diesen unseligen Zeiten an verantwortlicher Stelle steht, dann muss man einfach mal Dampf ablassen. Und wenn ich das bei Ihnen tue, dann weiß ich ja, dass es unter uns bleibt.«

    Sterkrades Gemeindevorsteher sah über sein Stehpult hinweg auf seinen Polizeidiener herab.
    Vielleicht war er manchmal zu vertraulich mit diesem Martin Grottkamp.
    Aber er schätzte nun mal die gelegentlich schlichten, gelegentlich jedoch auch überraschend klugen Ansichten seines knorrigen Offizianten, wenngleich ihm dessen Schwärmerei von den Zuständen im alten Bauerndorf Sterkrade hin und wieder gegen den Strich ging.
    Die Polizeidiener, im Rheinland häufig Polizeisergeanten genannt, waren heutzutage allzu oft invalide Trunkenbolde, von so geringer Bildung, dass sie kaum in der Lage waren, Dienstanweisungen zu begreifen und umzusetzen.
    Wer mit dem Zivilversorgungsschein in der Tasche aus dem Militärdienst ausschied und seinen Namen schreiben konnte, der war als Ordnungshüter geeignet. So standen die Dinge nun mal im Königreich Preußen. Und obwohl sich die Klagen von Kommunalbeamten über ungeeignete und unzuverlässige Polizeidiener in letzter Zeit häuften, würde sich daran wohl auch nichts ändern.
    Martin Grottkamp war ein Glücksfall. Er trank nicht, er war zuverlässig, und er konnte nicht nur seinen Namen schreiben. Er war durchaus in der Lage, einen polizeilichen Bericht zu verfassen, wenn es denn erforderlich war. Er wusste nicht nur genauestens, was in Sterkrade vor sich ging, sondern richtete seinen Blick auch über die Kirchturmspitze von Sankt Clemens hinaus, ja, er hatte sogar die »Rhein- und Ruhrzeitung« abonniert.
    Der inzwischen verstorbene Wilhelm Lueg hatte vor gut sechs Jahren höchstpersönlich dafür gesorgt, dass Grottkamp der erste Polizeidiener der Gemeinde Sterkrade wurde. Und sogar der alte Lueg, der weitsichtige Hüttendirektor und ebenso weitsichtige Gemeindevorsteher, hatte hin und wieder Grottkamps Meinung zu Rate gezogen.
    Ein gewisses Maß an Vertraulichkeit im Umgang mit diesem Polizeisergeanten, so befand Carl Overberg, ließ sich durchaus rechtfertigen.
    Während Sterkrades Gemeindevorsteher seinen Untergebenen mit nachdenklichem Wohlwollen betrachtete, erkannte er plötzlich, in welchem Zustand sein Gegenüber sich befand.
    »Mann, Sie sind ja völlig durchnässt«, stellte er fest. »Was haben Sie angestellt, Grottkamp? Sie holen sich ja den Tod! Und außerdem versauen Sie mir alles.«
    Carl Overberg rief nach dem Hausmädchen und beorderte es mit Putzeimer und
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