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Tochter des Schweigens

Titel: Tochter des Schweigens
Autoren: West Morris L.
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zurückzulassen. Es wird aber nicht lange dauern.«
    Landon benutzte die Gelegenheit zu einer nachdrücklichen Warnung.
    »Carlo, du bist mein Freund, und ich muß dir sagen, das Eis ist dünn, auf dem du stehst. Was sie dir zu sagen hat – und wie sie es sagen wird: dieses Mädchen will dich haben. Und du bist ihr gegenüber auch nicht grade gleichgültig. Mach Schluß, jetzt gleich! Sei vernünftig. Verabschiede dich von ihr und geh. Bitte, Carlo!«
    Rienzi wollte sich abwenden, aber Landon hielt ihn fest, woraufhin er ihn mit leiser Stimme anfauchte: »Wenn dir das heute nicht die Augen geöffnet hat, Peter, dann kann ich dir auch nicht helfen. Du hast eine schmutzige Phantasie. Und das alles hast du schon einmal gesagt. Aber jetzt ist es einfach zuviel. Laß mich los, bitte!«
    »Nur noch eins, Carlo …« Er wollte ihm von seiner Unterredung mit Galuzzi erzählen, aber dann besann er sich. Warum sollte er den Henker für einen Mann spielen, der sich selber den Strick drehte? Er ließ Carlo los, der wütend in den Garten hinunterging, während Landon sich auf eine Bank setzte und sich eine Zigarette anzündete.
    Er rauchte eine zweite und eine dritte, schlenderte auf dem Rasen hin und her und ließ zwanzig Minuten vergehen. Dann, in äußerster Erbitterung, machte er sich auf die Suche. Er hatte kaum den Fuß auf die oberste Stufe gesetzt, als er auch schon ihre Stimmen hörte. Zum ersten Male in seinem Leben spielte er den Lauscher.
    Rienzi und Anna saßen auf einer Steinbank, dem Schrein gegenüber. Sie sahen einander in die Augen, und Anna hielt Carlo bei der Hand, während sie auf ihn einredete.
    »Sie haben mir so oft gesagt, Carlo, daß niemand ohne Liebe leben kann – irgendeine Form der Liebe. Ich weiß, Sie sind verheiratet, und also darf ich Sie darum nicht bitten. Aber ich bin kein Kind, und Sie dürfen mir daher auch keine väterliche Liebe anbieten. Was bleibt uns also, Carlo? Was können Sie mir geben, um mich hier am Leben zu erhalten?«
    Landon konnte Rienzis Gesicht nicht sehen, aber er spürte seine Beunruhigung aus der mühsam beherrschten Art, in der er antwortete:
    »Sie bedeuten mir unendlich viel, Anna, meine Liebe – aus vielen Gründen. In diesen letzten Wochen habe ich Ihr Schicksal bestimmt und Sie waren und sind mein Lohn.«
    »Ist das alles?«
    Das war wieder die gleiche Stimme, die Landon auf Professor Galuzzis Tonband gehört hatte – tot und ausdruckslos. Rienzi entgegnete schwach:
    »Nein, Anna. Sie wissen, es ist nicht alles. Aber – was es sonst noch ist, bin ich mir nicht einmal selber sicher. Und ich weiß nicht, ob ich es ausdrücken könnte.«
    »Aber ich kann es ausdrücken, Carlo. Ich liebe dich!«
    Rienzi schien erschüttert, versuchte aber noch immer, sie wie ein Kind zu behandeln.
    »Liebe ist ein großes Wort, Anna. Es kann vielerlei bedeuten und heute etwas ganz anderes als morgen.«
    »Liebst du mich, Carlo?«
    Landon sah, wie er einen Augenblick zögerte und sich dann geschlagen gab.
    »Ich – ich liebe dich, Anna.«
    Aber sie war noch nicht zufrieden und zog seine Hände an ihre Brust.
    »Wie liebst du mich, Carlo? Wie?«
    Rienzi befand sich nunmehr ganz in der Verteidigung, und er wußte es. Landon spürte, wie er sich zusammennahm und nach Worten suchte.
    »Ich – ich weiß es noch nicht, Anna. Deshalb mußt du Geduld mit mir haben. Ich brauche Zeit. Wir brauchen beide Zeit, einander kennenzulernen – da genügt nicht die Krisenzeit einer Gerichtsverhandlung, auch hier ist das unmöglich, nur draußen in einer Welt voll normaler Menschen kann das gelingen. Was da zwischen uns ist, Anna, muß langsam wachsen. Und wenn es dann anders aussehen sollte, als wir erwartet haben, wird es doch gut und richtig gewesen sein. Kannst du das verstehen?«
    Zu Landons Überraschung und Carlos offensichtlicher Erleichterung stimmte sie ihm zu. Sie zögerte einen Augenblick und sagte dann mit ihrer kindlichen Stimme:
    »Ja. Ich verstehe es. Ich kann jetzt glücklich sein, denke ich. Gib mir bitte einen Abschiedskuß.«
    Rienzi sah sie lange an, nahm dann mit rührender Zärtlichkeit, doch ganz ohne Leidenschaft ihr Gesicht in beide Hände und küßte flüchtig ihre Lippen. Dann ließ er sie los und stand auf. Verwirrt und enttäuscht sah sie ihn an.
    »Das hast du gemacht, als ob ich ein kleines Mädchen wäre.«
    Rienzi schüttelte lächelnd den Kopf.
    »Nein, Anna, du bist eine Frau! Eine sehr schöne Frau!«
    »Dann küß mich auch wie eine Frau! Ich will mich
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