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Tochter des Schweigens

Titel: Tochter des Schweigens
Autoren: West Morris L.
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wirklich sehr gern, Peter. Aber das heißt doch nicht, daß wir immer der gleichen Meinung sein müssen, oder?«
    »Du hast meinen Rat gehört, Carlo. Ich kann dich nicht zwingen, ihn anzunehmen. Und jetzt laß uns von etwas anderem reden.«
    In diesem Augenblick trat die Oberin ein: eine feingliedrige, kleine grauhaarige Frau.
    Als Carlo sich vorstellte, begrüßte sie ihn mit Wärme.
    »Ich habe Ihre Verteidigung mit großem Interesse verfolgt, Herr Rienzi. Die Männer meiner Familie sind seit Generationen Juristen. Ihr Plädoyer war großartig.« Landon begrüßte sie respektvoll. »Wir freuen uns sehr, Sie hier zu sehen, Herr Landon. Professor Galuzzi hat mit der größten Hochachtung von Ihnen gesprochen. Wann immer Sie uns besuchen wollen – Sie sind hier jederzeit willkommen.«
    Landon verbeugte sich, und die Oberin fuhr an die beiden gewandt fort:
    »Wir sind alle sehr an Annas Fall interessiert, meine Herren. Sie wurde heute am frühen Nachmittag hier eingeliefert, und wir hatten mit ihr keine der sonst üblichen Schwierigkeiten. Professor Galuzzi hat angeordnet, daß ihr soviel Freiheit wie irgend möglich gewährt werden soll. Sie wird alle Vorrechte unserer fortgeschrittenen Patientinnen genießen: ein eigenes Zimmer, Zeit zum Lesen und Nähen, jeden Tag eine Stunde Fernsehen und einige Kosmetika. Für Besuche ist gewöhnlich ein festgelegter Besuchstag im Monat vorgesehen. Jedoch hält es Professor Galuzzi fürs erste für besser, wenn Anna nur alle sechs Wochen Besuch erhält. Wenn sie gute Fortschritte macht, werden wir natürlich auch für sie die übliche monatliche Regelung einführen.«
    Hübsch eingefädelt, dachte Landon. Galuzzi wußte, was er wollte, und in dieser kleinen grauhaarigen Frau besaß er eine starke Verbündete. Sie fuhr in ihrer sachlichen Art fort:
    »Wir haben auch noch eine andere Regel, die sich immer ausgezeichnet bewährt hat. Besucher werden gewöhnlich begleitet. Unaufdringlich, selbstverständlich. Jedoch, da Herr Landon mitgekommen ist, denke ich, daß sich die Begleitung durch eine Schwester wohl erübrigt.«
    Zum ersten Male gelang es Carlo, zu Wort zu kommen. Er sagte voll Eifer: »Wie Sie wissen, habe ich ein großes persönliches Interesse an Anna. Wenn ich irgend etwas für sie tun kann, bitte lassen Sie es mich sogleich wissen.«
    Die Oberin lächelte.
    »Ich versichere Ihnen, Herr Rienzi, sie wird hier die denkbar beste Pflege haben. Unsere Ärzte sind ausgezeichnet. Professor Galuzzi ist ein regelmäßiger Besucher. Unsere Schwestern sind für ihre besondere Aufgabe hervorragend ausgebildet. Heute werden Sie Anna sicherlich noch ein bißchen unruhig finden. Das ist nur natürlich. Es ist ihr erster Tag hier, und sie ist noch fremd. Aber sie wird sich rasch einleben. Auch ist es nur natürlich, daß eine gesunde junge Frau wie sie gelegentlich darunter leidet, eingesperrt zu sein – und unter dem Mangel an Kontakt mit dem anderen Geschlecht. Aber wir achten auf diese Dinge und wissen, ihnen entgegenzuwirken.« Sie erhob sich und strich den Rock ihrer Tracht glatt. »Falls Sie irgendwelche Geschenke für sie mitgebracht haben, würde ich sie gern sehen.«
    Leicht eingeschüchtert von dieser Resolutheit, zeigte Rienzi die Päckchen vor. Eine Schachtel Pralinen, ein Stirnband, ein Medaillon an einem goldenen Kettchen sowie Nähzeug. Die alte Nonne begutachtete alles mit einem feinen Lächeln und entfernte nur die Schere aus dem Nähetui.
    »Nicht wegen Anna, Herr Rienzi, sondern weil sie womöglich in falsche Hände geraten könnte.«
    Rienzi wurde rot und entschuldigte sich.
    »Es war gedankenlos von mir. Tut mir leid.«
    »Im Gegenteil, Herr Rienzi, Sie sind ein sehr bedachtsamer Mann. Anna kann froh sein, Ihre Unterstützung zu haben.«
    Wie auf ein Stichwort trat Anna zögernd ein, und Rienzi streckte ihr die Hand entgegen.
    »Anna, meine Liebe. Wie schön, Sie zu sehen!«
    »Ich freue mich auch, Herr Rienzi.«
    Die zurückhaltende Begrüßung konnte ihre lebhafte Freude nicht verbergen. Rienzi stellte ihr Landon vor.
    »Sie erinnern sich doch an Herrn Landon, Anna? Er war Ihnen eine große Hilfe – vor und während der Verhandlung.«
    »Selbstverständlich.« Sie lächelte Landon vorsichtig an. »Herr Landon war sehr gut zu mir. Ich habe das nicht vergessen.«
    »Sie sehen gut aus, Anna. Ich weiß, Sie werden hier bestimmt sehr zufrieden sein.«
    Das Mädchen sagte nichts, und die Oberin erklärte rasch:
    »Ich muß an die Arbeit gehen. Führen Sie die
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