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Tochter des Schweigens

Titel: Tochter des Schweigens
Autoren: West Morris L.
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Ihrer Schuld stehen. Ich habe nie einen Meineid für einen anderen Mann geleistet – wenn ich auch Frauen oft falsche Eide geschworen habe. Aber das ist etwas anderes. Ich danke Ihnen, Landon, und ich wünsche Ihnen alles Gute. Ich denke, Sie werden zu Ninette passen, und ich weiß, sie auch zu Ihnen. Gehen Sie jetzt hinunter. Ich komme in ein paar Minuten nach. Was wollen Sie Valeria sagen?«
    »Die Wahrheit«, sagte Landon brüsk. »Was sonst?«
    Als er Valeria berichtet hatte, war sie ganz seiner Meinung.
    »Wenn wir jetzt nicht zueinander finden, gibt es überhaupt keine Hoffnung mehr. Dann müssen wir uns trennen und jeder seiner Wege gehen. Alles hat schließlich seine Grenzen.«
    Er richtete an sie die entscheidende Frage:
    »Wie stellst du dir dieses Zueinanderfinden vor?«
    »Nur mit Liebe, Peter«, sagte sie mit großem Nachdruck. »Nicht mehr innerhalb dieser erstarrten Konventionen. Ich erwarte nicht zuviel. Aber es muß auf beiden Seiten ein bißchen Liebe vorhanden sein – und manchmal auch eine Spur von Leidenschaft. Auf was könnten wir sonst bauen?«
    »Auf nichts. Liebst du Carlo?«
    »Ich könnte damit beginnen, ihn zu lieben, denke ich.«
    »Liebt er dich?«
    »Ich weiß nicht, Peter. Aber heute nacht muß er es mir sagen.«
    »Glaubst du, er weiß es heute nacht?«
    »Wenn nicht heute nacht, dann nie!« Sie wandte sich ab. »Ich sehe dich unten, Peter. Und wenn du gehst, küß mich nicht zum Abschied.«
    Er ging in sein Zimmer, warf sich aufs Bett und schloß die Augen. Er war todmüde, aber es gab immer noch keine Ruhe für ihn. Nicht nur Carlo Rienzi, auch er, Peter Landon, hatte einen Wendepunkt seines Lebens erreicht. Die Institution der Ehe genügte durchaus nicht, die Liebe zu erhalten. Dazu gehörte ein ganzes Leben, gehörten Mühe, guter Wille und viel Einsicht. Liebe war eine langsam wachsende Blume. Ein schlechter Gärtner, und die Blume verwelkt.
    Er stand auf, wusch sich sein Gesicht mit kaltem Wasser, fuhr mit dem Kamm durch sein Haar und ging hinunter.
    Ascolini und Valeria sprachen vor der Tür zur Bibliothek mit Ninette. Ninette sah angestrengt aus, und ihre Augen waren vom Weinen geschwollen. Als Landon sich nach Carlo erkundigte, schüttelte sie den Kopf.
    »Ich kann es dir nicht sagen, chéri, ich weiß es selber nicht. Zuerst war es ganz erschreckend. Ich habe noch nie einen Mann so verwirrt gesehen. Er hat mir sein ganzes Herz ausgeschüttet – seine tiefsten Seelengeheimnisse, alles. Dann hat er nur am Boden gesessen, den Kopf auf meinen Knien, und geschwiegen. Er ist jetzt ganz ruhig. Aber was in ihm vorgeht – ich habe keine Ahnung. Er möchte uns alle sehen.«
    »Hat er gesagt, warum?«
    »Nein – nur daß er uns alle zusammen sehen möchte.«
    Sie standen einen Augenblick unentschlossen da und sahen einander fragend an. Dann zuckte Valeria die Schultern und öffnete die Tür zur Bibliothek.
    Der erste Anblick erschütterte sie. Carlo schien in wenigen Stunden um Jahre gealtert. Sein Gesicht w a r bleich und eingefallen, seine Augen brannten wie im Fieber. Er stand an den Kaminsims gelehnt, als brauchte er eine Stütze.
    »Hallo, Carlo«, sagte Valeria leise.
    »Hallo, Valeria.« Danach trat eine Pause ein. Carlo sah sie unbestimmt an und schüttelte den Kopf, als wollte er einen Alptraum abschütteln. Dann sagte er mit einer seltsam toten Stimme:
    »Ich freue mich, daß du hier bist, Valeria. Und ich freue mich, daß unsere Freunde hier sind. Ich habe euch etwas zu sagen.«
    Landon bemerkte, wie in Valeria Mitleid aufstieg, aber sie überwand es und wartete, bis Carlo weitersprach.
    »Ich bin ein ausgebrannter Mensch. Ich bin nichts – und ich habe nichts. Ich habe etwas Schreckliches getan, und ich kann mich nicht einmal mehr schuldig fühlen. Aber – ich wünschte nur, ich könnte es und ihr würdet mir glauben, weil ich es nie in meinem Leben noch einmal werde sagen können – ich bedaure nicht mich selber, aber ich bedaure, was ich getan habe und was ich gewesen bin – euretwegen. Das mag seltsam klingen aus dem Mund eines Mannes, der nichts fühlen kann, aber auch das muß gesagt werden. Ich liebe euch alle. Ich hoffe, ihr vergebt mir und laßt mich in Frieden gehen.«
    Mein Gott, dachte Landon, das kann doch nicht wahr sein! Es war aber doch wahr – und so unverhüllt, daß Landon sich wunderte, daß nicht alle in ein Gelächter ausbrachen. Advokat Rienzi plädierte genau für das, was er abstritt – das Recht, sich auch in Zukunft weiter
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