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Tochter des Schweigens

Titel: Tochter des Schweigens
Autoren: West Morris L.
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zu unerfahren. Er wird seine Karriere ruinieren, noch ehe sie richtig begonnen hat.«
    »Sie haben seine Ehe ruiniert, dottore – was machen Sie sich um seine Karriere Gedanken?«
    »Das tu' ich nicht. Nur insofern, als es auch die Zukunft meiner Tochter betrifft. Und die Zukunft ihrer Kinder, falls sie je welche haben sollte.«
    »Sie lügen, dottore«, sagte Ninette Lachaise traurig. »Sie belügen mich – und Sie belügen sich selber.«
    Der alte Anwalt lachte auf und hob in beinah komischer Verzweiflung die Arme.
    »Selbstverständlich lüge ich! Ich kenne die Wahrheit besser als Sie, Kind. Ich habe mir meine eigene Welt geschaffen – und mag sie nicht mehr leiden. Nun brauche ich jemanden, der sie mir auf dem Kopf zerschlägt und mir die Trümmer überläßt.«
    »Vielleicht will Carlo eben gerade das versuchen?«
    »Carlo?« explodierte Ascolini voll Verachtung. »Er ist ja nicht einmal Manns genug, seine eigene Frau zu beherrschen. Wie kann er es da mit einem perversen alten Bullen wie mir aufnehmen? Nichts würde mich mehr freuen, als wenn er mir's heimzahlen würde. Aber dazu ist er viel zu fein! Ha!« Er zuckte die Achseln und nahm ihre Hände wieder in die seinen. »Vergessen Sie das und malen Sie weiter Ihre Bilder, meine Liebe. Wir sind nicht wert, daß man uns hilft. Keiner von uns ist es wert. Nur eins …«
    »Was denn, dottore ? «
    »Sie müssen heute mit uns zu Abend essen. Draußen in der Villa.«
    »Nein – bitte!« Die Ablehnung war scharf und voller Nachdruck. »Sie sind hier jederzeit willkommen, das wissen Sie – nur, bitte, halten Sie mich aus Ihrer Familie. Sie paßt nicht zu mir – ich passe nicht zu ihr.«
    »Ich habe Sie nicht unseretwegen gebeten. Nur Ihretwegen. Ich habe einen Gast – den sollten Sie kennenlernen.«
    »Wer ist das?«
    »Mein Hausgast. Peter Landon. Er ist Arzt und kommt von Australien. Über London.«
    »Ein barbarisches Land, was man so hört, dottore, voller fremder Tiere und Riesenkerlen in Hemdsärmeln.«
    Ascolini lachte.
    »Wenn Sie diesen Landon kennenlernen, werden Sie zunächst geneigt sein, das zu glauben. Er füllt ein ganzes Zimmer. Und wenn er redet, kommt er einem zu brüsk und selbstsicher vor. Dann merkt man, daß er reines Toskanisch spricht und daß das, was er sagt, Hand und Fuß hat – und daß er ein bewegteres Leben hinter sich hat als wir beide. In ihm ist, glaube ich, eine gewisse Kraft lebendig – und auch so etwas wie Unzufriedenheit.« Er legte eine Hand auf ihre Wange. »Er könnte so gut für Sie sein, meine Liebe.«
    Sie wurde rot und wandte sich ab.
    »Wollen Sie den Heiratsvermittler spielen, dottore!«
    »Ich habe Sie lieber, als Sie ahnen, Ninette«, sagte er. »Ich mochte Sie so gern glücklich sehen. Bitte, kommen Sie.«
    »Also gut, dottore, ich komme, aber vorher müssen Sie mir etwas versprechen.«
    »Alles, was Sie wollen, Kind.«
    »Sie dürfen keine Komödien mit mir aufführen, keine Ränke schmieden, wie Sie das mit Ihrer Familie machen. Das könnte ich Ihnen nie verzeihen.«
    »Ich könnte es mir selbst nicht verzeihen. Glauben Sie mir, Ninette.« Er nahm ihr Gesicht zwischen seine alten Hände und küßte sie flüchtig auf die Stirn. Dann ging er, und sie stand lange unbeweglich und blickte über die Dächer der Stadt auf die Hügel der Toskana, wo das Blut uralter Opfer den Wein süßte und die Zypressen aus den Gräbern toter Prinzen wachsen.
    In der Villa Ascolini, hoch oben auf dem terrassenförmigen Hügel des Dorfes San Stefano, schlummerte Valeria Rienzi hinter geschlossenen Läden. Sie hatte keine Glocken gehört, keine Schüsse und nichts von dem anschließenden Tumult. Die einzigen Laute, die ihr Zimmer erreichten, waren das Zirpen der Zikaden, das Klappern der Schere des Gärtners und die zarte, quälende Musik, die Carlo am Flügel im Salon spielte.
    Sie dachte nicht an den Tod an diesem Sommermittag. Ihr Blut strömte zu drängend für solch traurige Gedanken. Sie brauchte nur ihren Körper auf dem Bett zu strecken, die Seide auf ihrer Haut zu spüren, um die Süße und den Reiz des Lebens zu empfinden. Sie dachte an die Liebe, die für sie nichts anderes war als eine angenehme, wenn auch vergängliche Unterhaltung. Und an die Ehe, die sie als einen dauerhaften, wenn auch mitunter lästigen Zustand betrachtete.
    Ehe hieß Carlo Rienzi, der hübsche jungenhafte Mann, der unten seine traurigen Melodien spielte. Ehe hieß Ergebenheit und Takt, Wohlanständigkeit und mütterliche Sorge um des
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