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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Julia Kröhn
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bei ihnen zu leben. Er lehnte ab, sah in der Abtei aber eine Zukunft für mich. Runa hat mich immer als ihren Sohn betrachtet, aber wie ihr Sohn verhalten habe ich mich nie.« Auch er lächelte nun - und wie bei ihr war es ein halbherziges Lächeln. »Ich tauge weder zum Bauern noch zum Jäger noch zum Krieger«, gestand er ein. »Für all das bin ich zu zögerlich, zu langsam oder vielleicht einfach zu ängstlich. Vielleicht hätte ich schon früher darauf kommen müssen, dass nicht ihr Blut in meinen Adern fließt.«
    »Taurin hat bestimmt, dass du Mönch wirst?«, fragte Gisla und erschauderte, als sie sich einmal mehr vorhielt, wie sehr sie sich in ihm geirrt hatte.
    »Runa hat mir von ihren Göttern erzählt, Taurin hingegen, in dessen Hütte im Wald ich viele Stunden verbrachte, von dem einen wahren Gott und wie man in einem Kloster lebt. Er hat mich gelehrt, wie man Latein und Griechisch spricht und alle Psalmen betet.«
    »Und so bist du ins Kloster Jumièges eingetreten.«
    »Nicht gleich. Als Runa immer schwächer wurde, entschied Taurin, nicht länger Einsiedler zu sein. Er ging nach Fécamp, das ist eine Stadt am Meer, in der Rollos Sohn Wilhelm viel Zeit verbringt. Und weil er schreiben konnte, verdingte er sich an dessen Hof als Notar. Mit seinem Lohn nährte er Runa, die nicht mehr jagen und nicht mehr bei der Ernte helfen konnte.«
    Es war schwer, sich eine Runa vorzustellen, die irgendetwas nicht mehr konnte.
    »Ich habe keine Entscheidung getroffen, solange sie lebte, aber nachdem sie starb - zwei Jahre ist das nun her -, bin ich nach Jumièges aufgebrochen und habe um Erlaubnis gebeten, mit den Mönchen zu leben. Sie haben mich als Novizen aufgenommen, die Profess habe ich noch nicht abgelegt.«
    Gisla dachte kurz daran, dass sie nie die Profess abgelegt - und somit nicht nur die anderen Nonnen belogen hatte, sondern auch Gott.
    »Du solltest ins Kloster zurückkehren«, sagte sie. »Und was König Ludwig anbelangt und die Gefahr, die von ihm droht ... Nun, ich werde selbst an ihn schreiben und ihm drohen, unliebsame Wahrheiten aufzudecken, wenn er jemals wieder wagen soll, nach deinem Leben zu trachten.«
    »Aber wird das genügen?«, fragte Arvid zweifelnd. »Was ist, wenn er versucht, nicht nur mich, sondern auch dich zum Schweigen zu bringen?«
    Gisla nickte. Darüber hatte sie sich selbst in der vergangenen Nacht Gedanken gemacht, da sie lange wach lag. »Du bist Novize - ich Äbtissin«, erklärte sie rasch. »Es wäre ein zu großes Sakrileg, eine Frau in diesem Amt zu meucheln. Das weiß auch Ludwig.«
    Arvid schwieg lange.
    »Das bedeutet natürlich auch«, fuhr Gisla fort, »dass ich von meinem Amt nicht zurücktreten kann, so wie ich es wollte. Ob all der Aufregung werden die Schwestern nicht mehr daran denken oder froh sein, wenn ich es nicht zur Sprache bringe.«
    Wieder nickte sie bekräftigend. Was zählte es, wenn sie sich unwürdig fühlte? Was zählte es, dass sie fortan das Amt einzig als Last empfinden würde? Eine weitaus größere hätte sie sich aufgebürdet, um Arvid zu schützen - und hatte es getan in dem Augenblick, da sie zu Taurins Mörderin wurde. Für diesen einen Moment wollte sie nicht daran denken. Vorsichtig legte Gisla ihre Hand auf Arvids Arm und war froh, dass er sie nicht abschüttelte.
    »Bleib noch einige Wochen hier - zu deiner Sicherheit. Und dann geh nach Jumièges und leg dein Gelübde ab. Ich meine, wenn es das ist, was du wirklich willst. Die meisten können nicht tun, was sie wollen, und viele wissen gar nicht, wozu sie imstande sind. Seinen Weg zu kennen und ihm unbeirrt folgen zu können ist eine Gnade.«
    Sie sah nicht länger auf das Grab, sondern auf ihre Hände. Ja, setzte sie im Stillen hinzu. Man bekommt nicht immer, was man will. Runa wollte heimkehren. Ich wollte gut sein. Taurin wollte Rache. Und Thure wollte töten. Doch Runa hat ihre Heimat nie wiedergesehen. Ich war nicht gut, sondern habe getötet. Taurin war gut, hat aber keine Rache bekommen. Und Thure hat auch Leben geschenkt, anstatt nur zu töten.
    Gisla schüttelte den Kopf, die Gedanken vertreiben konnte sie nicht. »Nein, so viele bekommen nicht, was sie wollen«, sagte sie nunmehr laut. »Vielleicht haben die Heiden Recht. Nicht Gott hat die Welt geschaffen, sondern die Götter haben es getan, und der Weltenbaum Yggdrasil, der in ihrer Mitte steht, ist durch und durch faul.«
    Sie hob den Blick, weil sie Arvids Augen auf sich ruhen fühlte. »Warum faul?«, fragte er schlicht.
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