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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Julia Kröhn
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ihresgleichen und Feinde gab, kein Einerlei aus beiden Völkern. »Manche der frommen Frauen wurden sogar geschändet«, fuhr sie mit gesenkter Stimme fort. »Aber davon spricht keiner mehr. Einige kehrten heim zu ihren Familien, andere irrten durchs Land. Wovon man spricht, ist, dass die Klöster keine Ruinen bleiben sollen. Rollo lässt sie wieder aufbauen.«
    Nun stand wieder Glanz in ihren Augen - wie in der Stunde, da sie die Zucht und Ordnung beschworen hatte, für die er sorgte.
    »Er hat dem Klerus und den Bistümern viele Güter und Ländereien zurückgegeben«, fuhr sie fort. »Nicht weit von hier steht ein solches Kloster. Früher sind mein Mann und ich einmal im Jahr dorthin gepilgert, um den Segen der Nonnen zu erbitten. Dann gab es keine Nonnen mehr und keinen Segen. Nun leben zwar wieder Frauen dort, aber Alfr will ihren Segen nicht.«
    Sie zuckte die Schultern, und schweigend arbeiteten sie weiter am Käse.
    Als sie mit ihrer Arbeit fertig waren, schlug Runa vor, hinauszugehen, um zu prüfen, wie viel Torf sie stechen musste, um das Dach ausreichend zu decken. Sie öffnete die Tür und fuhr zusammen. Runa hatte Gisla auf ihrer Schlafstatt vermutet, aber offenbar hatte sie im Freien ihre Notdurft verrichtet. Am ganzen Leib zitternd stand sie vor ihr und sah sie mit großen Augen an.
    »Was tust du denn hier? Geh wieder hinein! Du wirst dir den Tod holen«, fuhr Runa ihre Gefährtin an.
    Gisla gehorchte nicht. »Dort drinnen kannst du leben, ich nicht«, sagte sie leise.
    »Natürlich kannst du es! Es wird besser werden. Wenn die Schmerzen nachlassen, wenn dein Körper wieder verheilt, wenn es Frühling wird ...«, gab Runa ungehalten zurück.
    Gisla hob abwehrend die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. »Ich habe euch gehört«, sagte sie schlicht. Plötzlich beugte sie sich vor und schob das Gesicht ganz nah an das Runas heran. »Arvid ... Arvid soll wissen, dass königliches Blut in seinen Adern fließt, versprich mir das.«
    »Was redest du denn da?«
    »Erzähl es ihm! Erzähl ihm, wer seine Mutter war!«
    »Du wirst es ihm selbst erzählen. Du wirst ...«
    Wieder hob Gisla abwehrend die Hand, und wieder lag darin eine ungewöhnliche Macht, der sich Runa nicht entgegenstellen konnte.
    »Ich trage elende Kleidung«, murmelte Gisla. »Aber ich spreche Latein, ich kann lesen und schreiben. Wenn ich sage, ich bin eine der Ihren, werden die Nonnen des nahen Klosters mich aufnehmen.«
    Runa schüttelte verständnislos den Kopf. »Aber du bist keine von ihnen!«
    Gisla lächelte traurig. »Das stimmt ...«
    »Warum willst du dann dort leben, warum ...?«
    Diesmal brachten Runa Gislas Worte, nicht ihre Hand zum Schweigen. »Du sorgst für Arvid, ja? Du wirst immer für ihn sorgen, ja? In gewisser Weise ist er mehr dein Sohn als meiner.«
    Sie klang so flehentlich, dass Runa ihr nicht länger widersprechen konnte. Sie sagte nichts mehr, nickte nur stumm.
    Gemeinsam gingen sie ins Haus, und Gisla trat zu Arvid. Sie hob ihn nicht hoch, sondern strich nur flüchtig über sein Köpfchen. Alsbald zog sie die Hand weg und legte sie an ihre Brust, als wäre der Geruch des Kindes ein kostbarer Schatz, den es - so flüchtig er auch war - so lange wie nur möglich zu bewahren galt.
    »Ich tue es nicht nur für mich«, sagte sie. »Ich tue es vor allem für ihn. Ich bin nur eine Last - und solange ich an deiner Seite lebe, müsstest du dich ständig um uns beide kümmern. Ohne mich bist du besser dran. Und er ist es auch.« Sie machte eine Pause und seufzte. »Nenn mich feige, nenn mich schwach - zumindest bin ich nicht an Thure zugrunde gegangen, und ich habe Arvid geboren. Aber du warst es, nicht ich, die ihn zum Leben erweckt hat.«
    Am Tag, als sie zum Kloster gingen, fiel der erste Schnee. Ihre Schritte auf der weißen Decke waren lautlos, und die Spuren, die sie hinterließen, kaum zu sehen. Bis das Gebäude vor ihnen aufragte, war Runa vorangegangen, dann überließ sie Gisla den Vortritt. Arvid war bei Audinga geblieben und Gisla froh, von ihm bereits Abschied genommen zu haben.
    Der Abschied von Runa war lautlos wie ihre Schritte auf dem Schnee. Sie wechselten keine Worte mehr miteinander, blickten sich nur schweigend an. Sie gedachten des Guten und des Bösen, das sie miteinander erlebt hatten: des eiskalten Wassers der Epte und des Meeres, des ersten Feuers, das sie im Wald gemacht hatten, des harten Fleisches und der grätenreichen Fische, die sie gegessen hatten, aber auch der süßen Früchte, die sie
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