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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Julia Kröhn
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gefunden hatten. Sie dachten an den Tod, an den Kerker von Rouen und Laon, an den Brand, an Thure. Und sie dachten an das Leben, Arvids Geburt und wie er das erste Mal geschrien hatte.
    Dann umarmten sie sich. Oft hatten sich ihre Leiber aneinandergepresst - in Stunden der Not oder um sich im Schlaf zu wärmen, doch noch nie zuvor hatten sie sich umarmt. Jetzt taten sie es lange und inniglich, und als Gisla sich von Runa löste, wusste sie, dass sie nie wieder einen Menschen so umarmen, so halten würde.
    Gisla sah nicht in Runas Gesicht, sondern auf ihr Amulett, selbst dann noch, als Runa sich längst abgewandt hatte. Erst als sie auf der weißen Schneedecke davonging und ihre dunkle Gestalt immer schmaler wurde, bis sie mit dem Weiß verschmolz, senkte Gisla ihren Blick, schritt auf das Kloster zu und klopfte an die Pforte.
    Es war so leicht, wie sie es sich erhofft hatte. Sie log, was ihre Herkunft anbelangte, aber sprach die Wahrheit, als sie bekundete, was sie gut konnte und was nicht. Man glaubte ihr. Ihre Hände sahen zwar aus, als hätte sie hart gearbeitet, aber der Leib, der dazugehörte, hatte nichts mit dem jener Menschen gemein, die für diese Arbeit geboren worden waren. Vielmehr war es der Leib einer, die die Erbsünde durch Schweigen, Fasten und Gebet, nicht im Schweiße des Angesichts zu sühnen hatte.
    Gisla erklärte, sie sei eine Nonne und stamme von Saint-Amand in Rouen ab, berichtete von Unruhen, als Rollo die Stadt erobert hatte, von Flucht und Vertreibung und dass sie sich nicht mehr zurückgewagt habe.
    Das Kloster - dem heiligen Ambrosius geweiht - war groß, die Wände wieder aufgebaut, aber die Schwestern nicht sehr zahlreich. Es waren nur sieben, zwei davon blind und alt und darum nicht fähig, dem Gemäuer zu altem Glanz zu verhelfen. Gisla zeigte wieder ihre Hände. Ja, eigentlich sei sie nicht dazu bestimmt, durch Arbeit ihre Sünden auszumerzen, und dennoch sei sie bereit, das Ihrige zu tun, damit dieser Ort nicht länger von Zerstörung künde, sondern von Heiligkeit.
    Das Erste, was sie mit ihren Händen tat, war, einen Brief an ihre Mutter Fredegard zu schreiben, die sie immer noch im Kloster in Chelles vermutete. Sie schrieb ihr, wo sie war, aber sie schrieb nicht, unter welchen Umständen sie dorthin gekommen war. Sie deutete an, dass ihr ursprünglicher Plan zwar zwischenzeitlich scheitern drohte, aber am Ende aufgegangen sei. Sie schrieb auch, dass sie im Kloster bleiben wolle. Noch gab es keine Möglichkeit, der Mutter diesen Brief zu schicken, aber sie trug ihn stets unter ihrer Kutte - als Zeichen der Hoffnung, dass ihr Leben irgendwann in jenen geordneten Bahnen verlaufen würde, die Fredegard vorgesehen hatte.
    Als es Frühling wurde, klopften Mönche aus dem Frankenreich an die Pforte des Klosters. Sie waren zu einer Pilgerreise nach Rouen aufgebrochen, um die Reliquien zu ehren, die während all der Kämpfe dorthin und später nicht wieder in die umliegenden Diözesen zurückgebracht worden waren, und hatten obendrein einen Auftrag Fredegards zu erfüllen - nämlich in jedem Kloster, das sie passierten, nach einer Gisla oder Aegidia zu fragen. Gisla hatte all die zurückliegenden Monate nicht geweint, und sie tat es auch jetzt nicht, aber sie fiel auf die Knie, um erst Gott, dann den Mönchen dafür zu danken, dass es nun die Möglichkeit gab, der Mutter die erlösende Nachricht zu übermitteln. Ihr zu sagen, dass sie noch lebte. Dass alles gut gegangen war. Zumindest in dem Augenblick, da sie den Mönchen den Brief überreichte, den sie so lange mit sich getragen hatte, fühlte sich tatsächlich alles gut an. Erst nachdem die frommen Männer aufgebrochen waren, überkam sie wieder Schmerz: Ihre Mutter würde nun wissen, dass ihr Kind wohlbehalten war, indess sie nur darauf vertrauen konnte, dass Arvid bei Runa auch weiterhin gut aufgehoben war.
    Einige Wochen später bekam sie Antwort - und noch mehr. Von nun an schickte Fredegard Silber, Kleidung und Essen, allesamt Gaben, die sie wohl ihrerseits vom König empfing. Zwar bat Fredegard die Tochter des Öfteren darum, sie möge ihr nach Chelles folgen, aber Gisla erklärte hartnäckig, dass die neue Heimat, die Gott ihr zugewiesen hatte, die rechte für sie sei. In Wahrheit spürte sie, dass sie sich für den Rest ihres Lebens überall heimatlos fühlen würde. Doch es war ihr unmöglich, jemals wieder der Frau gegenüberzutreten, die in ihr das kleine, schutzbedürftige Mädchen sah. Wie hätte sie ihr anvertrauen
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