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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Julia Kröhn
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Frühling immer süßer roch und das Grün der Wiesen mit roten und gelben Blumentupfern gekrönt wurde, verbrachte Runa die meiste Zeit im Freien. Arvid saß im Gras, betrachtete die summenden Bienen, begann zu krabbeln und nannte sie seine Mutter.
    Runa dachte daran, dass sie Gisla versprochen hatte, Arvid von seiner königlichen Abstammung zu erzählen. Sie wollte dieses Versprechen nicht brechen, aber sie wollte auch seine Mutter sein. So entschied sie, eines Tages einen Franken zu erwähnen - von hoher Geburt dieser, mit dem König verwandt und leider seit langem tot -, der ihn gezeugt hätte. An diesem Tag würde sie ihm auch ihr Amulett umlegen.
    Nach dem Frühling kam der Sommer, und wenn die Sonne gar zu heftig brannte, ging sie in den Wald, roch Erde und Moos, Rinde und Sümpfe und fühlte sich an diesem Ort, den Audinga als gefahrvoll verschrie, zuhause. Sie wollte nie wieder herumirren wie einst, ganz allein und ohne ein anderes Ziel, als zu überleben, aber sie genoss die Stille nach Audingas gleichmütigem Geschwätz, und manchmal dachte sie, dass die Tiere des Waldes, ja selbst die Bäume ihr liebere Brüder und Schwestern wären als jemals die Menschen - Arvid ausgenommen.
    Gisla gab es in Runas Leben nicht mehr, damit hatte sie sich abgefunden. Eines Tages - es war Herbst, und Arvid lernte laufen - kehrte jedoch ein anderer in dieses Leben zurück. Er kam, wie er seinerzeit an der Küste aufgetaucht war - auf leisen Füßen wie aus dem Nichts.
    Es schien für sie so selbstverständlich, dass er zurückkehrte, und für ihn so selbstverständlich, dass er sie gefunden hatte, dass beider Erstaunen sich schnell legte.
    Sie hob Arvid hoch.
    »Was machst du hier?«, fragte sie heiser.
    »Ich war in Lutetia«, bekannte er knapp.
    »Das ganze letzte Jahr?«
    »Nein, nur ein paar Tage. Die restliche Zeit des Jahres habe ich damit verbracht, euch zu suchen.«
    Arvid begann zu quengeln und ungeduldig zu strampeln, sie setzte ihn wieder auf den Boden, wo er Blumen und Gräser ausriss.
    »Warum bist du nicht länger in Lutetia geblieben?«, fragte sie.
    Taurin trat einen Schritt auf sie zu. Ihr fiel auf, dass sein Haar schütter geworden war und an manchen Stellen ergraut, dass sich tiefe Furchen in seine Wangen eingegraben hatten und sein Bart noch länger gewachsen war. Seine Hände waren rau, seine Füße verschmutzt und von Wunden übersät, sein Rücken von unsichtbarer Last gebeugt.
    Sein Blick hingegen war jung und lebendig.
    »Lutetia ist mir fremd. Ich kenne keine Menschen dort. Nichts kommt mir vertraut vor. Ein Ort, an dem ich noch nie gewesen bin, könnte nicht weniger Heimat sein.«
    Die Wehmut, die in diesem Bekenntnis lag, übermannte auch sie. »Und ich ...«, stammelte sie. »Ich kann mich nicht mehr an das Gesicht meiner Großmutter erinnern.«
    Wie er senkte sie den Kopf, um unauffällig die Tränen abzuwischen - nicht sicher, ob sie aus Trauer um Asrun weinte oder aus Glück, weil er wieder bei ihr war.
    Sie schwiegen, sahen sich schließlich erneut an.
    »Ich weiß nicht, wohin ich gehen soll«, sagte er.
    »Dann bleib hier«, gab sie zurück.

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    Taurins Gesicht war friedlich: Er kehrte endlich heim, wo auch immer seine Heimat war. Gisla hingegen verweigerte sein Tod den Frieden. Sie blickte auf den Leichnam und konnte nichts anderes denken, als dass der Tod nicht freundlich war und schon gar kein Fest, obwohl man im Kloster stets ein solches feierte, wenn Gott eine Mitschwester zu sich holte und das Gebot galt, dass man nicht trauerte. Alles andere war Ausdruck von Schwäche und ein Zeichen, dass es am Glauben ans Ewige Leben mangelte.
    Ob Taurins Tod würde sie jedoch trauern.
    Gemeinsam mit Arvid bedeckte Gisla den Leichnam mit seinem Mantel, damit niemand sah, wie er gestorben war, aber sie wusste, dass sie es nie vergessen würde. Sie würde fortan damit leben müssen, dass sie ihn getötet und dass sie nicht mehr an das Gute geglaubt hatte.
    Still standen sie neben dem verhüllten Toten, und stockend begann Arvid zu erzählen von all den Jahren, da er Runa für seine Mutter hielt. Er konnte nicht mit Sicherheit sagen, wie eng das Band zwischen Runa und Taurin war, ob sie es an seinen Enden nur zaghaft hielten oder immer wieder neue Knoten schnürten. In der ersten Zeit, als er noch ein Kind gewesen war, hatte Taurin im Wald gelebt und Runa weiterhin auf Audingas und Alfrs Hof. Man hatte sie für eine ganz gewöhnliche Bäuerin
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