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Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten

Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten

Titel: Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten
Autoren: Mona Vara
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Gedanken. Noch nie hatte ein Jäger ein Geheimnis gehabt. Allein schon die Vorstellung war absurd. Aber er hatte jetzt eines, und es verwirrte und … erfreute ? ihn zugleich. Das Mädchen hatte ihn angesehen. Es hatte ihn ganz bewusst angeblickt. Es hatte ihn bemerkt . Noch in der Erinnerung glitt ein Schauer über seinen Körper.
    Und doch war es unmöglich, Menschen konnten ihn nicht sehen.
    Als er dieser öden Welt, deren zerlumpten Bewohnern und ihrem staubigen Horizont den Rücken kehrte, folgte er nicht etwa seinem Auftrag, sondern suchte erneut die Stadt auf, in der er die Frau gefunden hatte.
    Allerdings wurde er dieses Mal nicht vom üblen Odem der Beute angezogen, sondern von dem Kind. Er verharrte längere Zeit am Rand eines großen Platzes, an einem geschützten Ort, wo keiner der scheinbar ziellos umherlaufenden Menschen ihn berühren konnte, und blickte sich unschlüssig um. Er stand vor einem neuen Problem: Wie sollte er jemanden finden? Wie machten das die Menschen? Wie unterschieden sie einander?
    Zum ersten Mal sah er die Menschen bewusst an. Er war auf seiner Jagd viel herumgekommen, aber er hatte den Menschen nie besondere Achtung geschenkt. Nun betrachtete er sie eingehender, studierte ihre Züge, besonders die der kleineren, der Kinder. Die Menschen, stellte er überrascht fest, hatten eine stärkere Identität als er und seinesgleichen. Das begann schon mit der Kleidung. Dann die Frisur. Größe, Gang, Haarfarbe, ja sogar die Hautfarben waren unterschiedlich! Er wurde zunehmend verwirrter. Da waren dunkelhäutige Menschen mit dunklem Haar und dunklen Augen und mittelbraune mit blondem Haar und hellen Augen. Und die Kinder, diese kleinen Wesen, waren überhaupt schwer zu fassen. Sie wuselten überall herum, waren einmal hier, einmal dort, schrien so laut, dass der Lärm bis in seine gedämpfte Sphäre dröhnte.
    Er wusste nicht, wie viel Zeit in dieser Stadt oder auf der Erde vergangen war, seit er sie mit seiner Beute verlassen hatte. Es konnten Stunden und auch Tage sein. In seiner Welt gab es Zeit nicht in dieser Form – sie hatte ihre eigenen Zeitabläufe und ihre eigenen Gesetze. Er wusste nicht, wie Menschen sie empfanden oder damit umgingen. Blieben sie lange Zeit am gleichen Ort wie die Wesen von Amisaya?
    Er versuchte, sich die Haarfarbe des Kindes in Erinnerung zu rufen. Hell, aber nicht so wie von diesem Mädchen dort. Und kürzer war das Haar gewesen. Er verließ seinen sicheren Platz und ging langsam durch die engen Straßen, über die Brücken, wich den Menschen aus, zuckte vor jeder weiteren Berührung zurück, schaute sich um und suchte.
    Da war etwas in ihm, das immer stärker wurde – eine Art Drängen. Was war das? Der Wunsch, sie zu finden und das Rätsel zu lösen? Er grübelte über diese Empfindung nach, als plötzlich einer der anderen Jäger neben ihm auftauchte.
    Er hatte diesen hier schon oft gesehen. Manchmal jagten sie sogar gemeinsam, aber noch nie hatten sie sich unterhalten, außer über die Jagd und ihre nächsten Schritte. Man traf zusammen, verfolgte die Beute und trennte sich nach erfolgreicher Jagd wieder.
    Er nickte ihm zu und ging weiter. Er wollte sich jetzt nicht ablenken lassen. Der andere blieb jedoch an seiner Seite, und er spürte dessen Verwunderung.
    »Was hält dich an diesem Ort? Hier ist keine Beute.«
    Zuerst wollte der Jäger nicht antworten, dann sagte er widerwillig: »Ein Kind. Ich muss das Kind finden.«
    »Ein Kind? Weshalb?«
    Der Jäger blieb stehen und betrachtete den anderen zum ersten Mal bewusst: helles Haar, dunkle Augen. Eine leicht gebogene Nase. Und dann war da eine gewisse Präsenz des anderen, an dem er ihn erkannte, selbst wenn er ihm den Rücken zukehrte. Präsenz , dachte er noch einmal, aber keine Empfindungen , wie er sie gespürt hatte, als das Kind durch ihn hindurchlief. Dieses Kind … Er musste es finden. Die Empfindung wiederholen und prüfen, sie verstehen lernen. Dieses Bedürfnis löste unterschiedliche Reaktionen in ihm aus – neugierige und zugleich unangenehme, als würde er sich auf verbotenem Terrain bewegen.
    Der hellhaarige Jäger zuckte mit den Schultern, als er keine Antwort bekam. »Wie willst du ein Kind finden?« Er wies mit der Hand über diesen Ort, wo sich die Menschen scheinbar sinnlos in Grüppchen zusammendrängten, aneinander vorbeiliefen, manchmal kurz verharrten und dann wieder weitereilten. »Sie sehen sich alle so ähnlich.«
    Der Jäger schüttelte den Kopf. »Nicht, wenn man genau
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