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Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten

Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten

Titel: Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten
Autoren: Mona Vara
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kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Sie wollte widersprechen, über die Worte ihrer Mutter lachen, ihr Fragen stellen, aber sie brachte kein Wort heraus. Ihre Mutter meinte es ernst, das war keine Fantasterei. Sie war völlig klar.
    Gabriella erhob sich halb und sah sich im Raum um. Einer der Grauen musste in das Zimmer eingedrungen sein. Ihre Mutter hatte ihr einmal, als sie noch ein Kind war, gesagt, diese Grauen Männer seien Todesengel, die Verdammte holten. Sie selbst hatte nie recht daran geglaubt – sie wirkten nicht beängstigend genug, nicht einmal, wenn sie ein Opfer packten und mit ihm spurlos verschwanden. Aber wenn diese Gespenster es jetzt auf einmal wagten, ihre todkranke Mutter mit ihrem Anblick zu beunruhigen, konnten sie sich auf etwas gefasst machen.
    Ihre Mutter berührte zart ihre Hand, um ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken. »Aber was immer er ist – ich habe ihn geliebt und er mich. Das sollst du wissen.« Sie schloss die Augen. »Und jetzt geh bitte.«
    »Aber …?«
    »Doch, ich muss jetzt … allein sein.«
    Gabriella erhob sich zögernd. Ihre Mutter ergriff ihre Hand und zog sie mit überraschender Kraft zu sich, dann schlang sie den Arm um sie und küsste sie auf beide Wangen. Es war wie ein Abschied, so dass Gabriella beinahe zu weinen begonnen hätte.
    »Ich will noch nicht gehen.«
    »Geh nur.« Ihre Mutter hatte die Augen geschlossen. Sie lächelte. »Ich möchte schlafen, das Sprechen hat mich müde gemacht. Reden wir ein anderes Mal weiter. Morgen.« Es würde kein Morgen geben. Er würde ihr keines lassen. Er wartete.
    ***
    Als sich die Tür hinter ihrer Tochter schloss, sagte Camilla: »Du kannst dich mir endlich zeigen. Ich weiß, dass du hier bist. Schon lange.«
    »Natürlich. Du hast ja auch mit mir gesprochen. Du hast mich verjagt. Allerdings vergeblich.« Die dunkle Stimme klang fast ein wenig amüsiert. So wie früher. Camilla lauschte ihr nach und tausend Erinnerungen stiegen in ihr hoch.
    »Aber du bist geblieben«, sagte sie schließlich.
    »Natürlich.« Der Schatten bewegte sich auf sie zu. Und je näher er kam, desto mehr verdichtete er sich zu einer Gestalt. Er blieb neben ihr stehen. »Ich habe dir auch geantwortet, aber du konntest mich noch nicht hören.« Seine Stimme wurde ganz zärtlich. »Ich war in all den Jahren oft bei dir, aber früher konntest du mich auch nicht sehen.«
    »Aber Gabriella konnte das.«
    »Ja. Und es hat dir mehr Angst gemacht als ihr.«
    Sie blickte in ein Gesicht. Gabriella sah ihm ähnlich. Das helle Haar, die Nase, sogar das Kinn, wenn es auch bei ihrer Tochter nicht so ausgeprägt war. Und ihre Augen waren heller. Sie hatte die Augen ihrer Großmutter.
    Eine warme Hand nahm ihre. Camilla zuckte nicht zurück. Sie erlaubte, dass er sie umschloss und hielt. Die Welt um sie herum verdunkelte sich, die Geräusche des Krankenhauses wurden sanft und versiegten. Je weiter das Leben da draußen zurückwich, desto deutlicher wurde er .
    »Du hättest nicht zu fliehen brauchen. Ich hätte mein Versprechen nicht gebrochen, mich nie wieder einzumischen.«
    »Aber nun bist du gekommen, um mich zu holen? Wartest du deshalb?«
    Er schüttelte langsam den Kopf. Sie betrachtete ihn. Er hatte sich nicht verändert. In all den Jahren nicht, während sie alt und krank geworden war. Auch Gabriella würde altern und irgendwann sterben, sie war menschlich, wie sie. Sie hatte bei ihrer Tochter immer ängstlich nach Anzeichen von Fremdheit gesucht, aber sie war immer ihr kleines Mädchen geblieben. Immer Gabriella, ihre Tochter, die ihr niemand wegnehmen durfte. Schon gar kein Vater, der Menschen holte, um sie in die Verdammnis zu bringen.
    Er beugte sich über sie. Zärtlich streiften seine Lippen über ihre Stirn. »Camilla, meine Liebste, ich hole keine Menschen. Du hast Gabriella damit erschreckt. Und dorthin, wo du nun gehst, kann ich dir nicht folgen. Es ist eine Gnade, das Vergessen, das Sterben. Gleichgültig, was davor war, der Tod löscht alles aus.«
    »Alles?« Sie wollte sich dagegen aufbäumen, aber sie war zu schwach.
    »Ganz gewiss deinen Schmerz. Und die Furcht.«
    Camilla hielt Strabos Blick und seine Hand fest wie die letzten Anker zu ihrem Leben. Er lächelte. »Ich liebe dich, Camilla. Habe keine Angst.«
    Sie wollte etwas sagen, aber ihre Stimme erstarb. Dunkelheit und tödliche Kälte erfassten ihre Welt und löschten die Züge von Strabos Gesicht aus. Sie fiel in tiefe, unendliche Schwärze. Sie wollte schreien und
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