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Titan 17

Titan 17

Titel: Titan 17
Autoren: Ronald M. Hahn , Wolfgang Jeschke
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was zu einer Quasi-Vertrautheit führte; darüber ging es aber eigentlich nicht hinaus. Er hatte eine besondere Neigung zur Mathematik, insbesondere vom abstrusen und philosophischen Typus, während ich mich eher konkreten und praktischen Studien in Richtung Bergbauingenieurwesen widmete. Meine einzige, wirklich enge Verbindung zu Tom ergab sich in meinem Prüfungsjahr. Er betete eine lokale Schönheit an, die jedoch nur den Werbungen von Athleten Beachtung schenkte, und er hatte sich mit der Bitte an mich gewandt, ihn zum Sportler auszubilden.
    Sein Körperbau war zu leicht, als daß der Einsatz beim Football erfolgversprechend erschienen wäre, zudem war ich in diesem Jahr Mannschaftskapitän der Leichtathleten, so daß ich ihn überredete, es mit Schnellauf zu versuchen. Er besaß gewisse, latente Anlagen, zähe Beharrlichkeit und die Bereitschaft, auf den Trainer zu hören, was mich in die Lage versetzte, einen anständigen Zweitausendmeterläufer aus ihm zu machen. Er erwarb seine Urkunde direkt vor meinem Examen und gelobte immerwährende Dankbarkeit. Daß er so in gewisser Weise mein Schützling war, führte vermutlich zu dem lockeren Briefwechsel, in dem wir seither standen. Unsere Briefe waren niemals sehr lang, doch zumindest wußte jeder, wo sich der andere aufhielt, und als ich schließlich in die Vereinigten Staaten zurückkehrte, erwies er sich als der einzige meiner früheren Freunde, den ich ausfindig machen konnte. Vierzehn Jahre in Südamerika führen dazu, daß man mit seinen Freunden in den Staaten nicht mehr viel Kontakt hat.
    Ich konnte mich schwach an Bob Jerningham erinnern, doch kaum mehr als der Name und ein paar Einzelheiten waren in meinem Gedächtnis haften geblieben. Während drei meiner vier Studienjahre war Bob Doktorand, er hatte nicht im Studentenheim der Verbindung gewohnt. Er bekam eine Art Forschungsstipendium in Mathematik, hatte seine Zeit damit zugebracht, um das Mathematische Seminar und das Planetarium zu kreisen und sich nur einmal im Monat zum Essen in der Mensa sehen lassen. Der Grund dafür war, daß er in höheren Regionen schwebte und unseren weltlichen Dingen wenig Interesse entgegenbrachte. Ich erinnere mich, daß er und Tom ziemlich eng befreundet waren, wobei ihre Beziehung gewiß ihrem gemeinsamen Interesse an der Mathematik entsprang, das bei Jerningham allerdings nach meinem Wissen praktischer orientiert war als bei Wallace.
    Die Fahrt endete vor einem Appartementhaus in der Park Avenue, ich folgte Tom durch die Eingangshalle und hinauf zu seiner Wohnung. Als ich eintrat, versetzte mich die Pracht der Einrichtung in ziemliches Erstaunen. Es war ganz offensichtlich, daß er mehr Geld verdient hatte, als er ›auszugeben wußte‹.
    »Nun bin ich bereit zu sprechen«, sagte er, als uns der Diener Hüte und Mäntel abgenommen hatte und damit verschwunden war. »Was weißt du noch von Bob Jerningham?«
    Ich erzählte ihm das wenige, das ich mir hatte ins Gedächtnis rufen können, worauf er ein paar Minuten schweigend sitzen blieb.
    »Das bißchen wird uns nicht viel helfen«, erklärte er schließlich. »Ich werde dir die ganze Sache erzählen müssen. Aber wir haben keine Eile, und sicher würdest du mir auch gerne etwas von deiner Mine berichten. Also erst einmal mit der Ruhe, ich habe noch über acht Monate, und du siehst nicht aus, als müßtest du bald sterben.«
    »Du gehst mir allmählich auf die Nerven, Tom Wallace«, erwiderte ich ziemlich scharf. »Du redest, als wüßtest du genau, wann du stirbst und wie. Das kannst du aber nicht wissen, und es ist reichlich lächerlich, daß du über so eine Verrücktheit nachgrübelst.«
    Er lächelte schwach.
    »Ich werde genau um 11 Uhr, 7 Minuten und 4,2 Sekunden am Morgen des 11. Dezember 1928 in einem Privatzimmer des Bellevue-Krankenhauses sterben«, antwortete er. »Ich werde am Abend davor um 21 Uhr, 22 Minuten, 14,1 Sekunden bei einem Autounfall schwer verletzt. Ich werde beide Beine gebrochen haben und eine Verletzung der Wirbelsäule schließt eine Genesung praktisch aus. Ich werde das Bewußtsein nicht verlieren, sondern die Todesschmerzen der Verdammten vom Unfall an erleiden, bis der Tod mich im wahrsten Sinn des Wortes erlöst.«
    Ich schnaubte in gespieltem Abscheu, war im Innern jedoch tief erschüttert. Eine solche Genauigkeit von Ort und Zeit des Unfalls und die Fülle der Details zu den Verletzungen waren unheimlich. Außerdem klang aus seiner Stimme absolute Überzeugung.
    »Hast du dich zum Orakel
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