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Tine

Tine

Titel: Tine
Autoren: Frieda Lamberti
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wohlverdienten Mutterschaftsurlaub, der bei mir deutlich kürzer ausfällt, als bei Frauen im Angestelltenverhältnis. Im Atelier messe ich die letzten Stoffe aus und lege sie auf den großen Arbeitstisch, als es an der Fensterscheibe klopft. Eine mir unbekannte Dame, ich schätze sie auf Mitte sechzig, legt verschämt ihren Kopf zur Seite und lächelt mir zu.
   »Bin ich hier richtig bei Haller Design? Bitte entschuldigen Sie meinen Überfall, aber ich bin gerade in der Gegend und wollte mir Ihre Möbel unbedingt einmal in Natura ansehen.«
   »Es gibt hier keine offizielle Ausstellung. Hier wird lediglich gefertigt.«
   »Darf ich trotzdem einen Blick riskieren?«
Wie kann ich dieser höflichen Frau ihren Wunsch abschlagen. Ich bitte Sie herein und führe sie herum.
   »Dieser Bereich ist privat und die Möbel stehen nicht zum Verkauf. Sagen Sie, wie sind Sie auf mich aufmerksam geworden?«
   »Durch meinen Sohn. Ich bin Heide Wickert und werde in einigen Tagen wieder Großmutter.«
   »Frau Wickert?«
   »Bitte sag Heide zu mir. Ja, ich habe schon lange vor, mich dir vorzustellen. Per Brief? Mit einem Anruf? Das schien mir nicht passend. Allerdings darauf zu warten, dass Ansgar den Mut aufbringt, uns miteinander bekanntzumachen, habe ich längst aufgegeben. Also, da bin ich. Die Oma in spe.«
   »Es wird ein Mädchen.«
   »Ich weiß und ich freue mich so.«
   »Nur schade, dass Ansgar es nicht kann.«
   »Noch nicht kann. Abwarten, Tine.«
   »Ich habe lange genug gehofft und gewartet. Er wird nie über seinen Schatten springen. Und mit seiner neuen Frau an der Seite schon gar nicht.«
   »Neue Frau? Da ist niemand! Die einzigen Frauen in seinem Leben sind wir beide und seine Therapeutin.«
   »Er ist noch immer in Therapie?«
   »Nein, wieder. Und das ist gut so. Er muss sich endlich von seinen Schuldgefühlen befreien.«
   »Kaffee?«
   »Sehr gern und schön stark.«
Das, was Heide mir berichtet, macht mich sprachlos. Nicht ein tragischer Verkehrsunfall hat seiner Frau und seinem Sohn das Leben gekostet. Es war ein Suizid. Die junge Mutter litt unter schweren Depressionen. Sogenannten Wochenbett Depressionen. Als er einen auswärtigen Termin wahrnahm, machte sie ihre Drohung wahr und fuhr sich mit dem Kind auf der Autobahn in den Tod.
   »Er warf sich jahrelang vor, die Anzeichen nicht erkannt zu haben.«
   »Aber ich...«
   »Tine, mein Sohn ist ein intelligenter Mann. Aber setze Intelligenz nicht mit Emotionalität gleich. Ansgar steckt voller Ängste. Er hat die Befürchtung, es könnte sich bei dir wiederholen. Mach was dagegen! So hat es sich bei ihm festgesetzt.«
   »Ich hab ihn so lieb.«
   »Keine Sorge. Das wird schon. Jetzt bin ich da und werde mich um alles kümmern. Zuerst werden wir morgen einen Kinderwagen kaufen. Ich hoffe, du hast noch keinen, denn diese Anschaffung ist das Privileg der Oma.«

Ich mag Oma Heide. Sie ist ganz anders als meine Mutter, aber trotzdem so lieb und fürsorglich, wie ich es in dieser Zeit nur zu gut gebrauchen kann. Sie erzählt mir von ihrer Schwangerschaft, berichtet mir von Ansgar als er noch ein kleines Kind war und lässt auch die schwierigen Jahre seiner »aufsässigen Zeit« nicht aus. Ich schaue mir Fotos und Filme an und frage mich, wie dieses Vorurteil über böse Schwiegermütter nur zu Stande kommt. Wenn ich einen Wunsch äußern dürfte, dann den, dass Heide meine wird.
 

Sophie Therese

Wir spielen Karten. Tagsüber wird mit Heide geklappert, abends kommen Jette und Franka dazu und wir spielen Skat. Ich bin schon den vierten Tag über dem errechneten Geburtstermin. Wenn mein Mädchen noch im Tierkreiszeichen der Zwillinge zur Welt kommen will, dann sollte sie sich beeilen. Franka hat zwei Flaschen Sekt mitgebracht und schenkt drei Gläser ein.
   »Und du? Apfelsaft?«
Ich kann keinen Apfelsaft mehr sehen. Seit Monaten trinke ich nichts anderes. Für die Stillzeit werde ich mir dringend etwas anderes überlegen müssen. Jette sagt, dass sie auf der Stelle mit mir tauschen würde. Für die Aussicht auf ein eigenes Kind würde sie sich verpflichten, ihr Leben lang nur Saft zu trinken. Ihre Augen sind mit Tränen gefüllt und ich höre sie das erste Mal ernsthaft über ihr Leben sprechen.
   »Wie konnte ich nur all die Jahre so vergeuden? Statt einen Beruf zu erlernen, habe ich mich von Dieter aushalten lassen. Ich habe seine Launen und seine
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