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Tiffany

Tiffany

Titel: Tiffany
Autoren: Felix Thijssen
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berührten und ich sie ablegen konnte.
    Ich schaltete mit den Fingerknöcheln das Licht ein, wusch mir unter dem Wasserhahn in der Kochnische die Hände und ging zurück zum Sofa. Ich zog den Couchtisch näher heran, setzte mich darauf und beugte mich über meinen Findling. Ich schob blonde Locken beiseite, die vom Haarlack aneinander klebten. Ihre Wange blutete. Sie hatte dichte, dunkelblonde Augenbrauen, trug einen breiten, weißen Plastikgürtel mit einer auffälligen Goldschnalle, und an ihrem linken Handgelenk war mit einer Kordel ein weißer Kunstlederbeutel befestigt. Ihr rosafarbener Mohair-Pullover reichte ihr nur knapp bis zum Bauchnabel und sah aus, als habe jemand versucht, ihn ihr vom Leib zu reißen. Eine ihrer Brüste war entblößt. Ich sah Kratzer und rote Flecken. Ihr voller, gesunder Busen stand in einem merkwürdigen Gegensatz zu ihren fleischlosen, hervorstehenden Rippen sowie den mageren Armen und dünnen Handgelenken, als führe Mutter Natur, besorgt um das Aussterben unserer Art, alles, was noch an Kalorien und Vitaminen hereinkam, den für die Fortpflanzung wichtigen Körperteilen zu.
    Ich drehte ihren Arm am Handgelenk nach außen und sah Nadeleinstiche in der Ellenbogenbeuge. Das überraschte mich nicht, höchstens insofern, als laut Bart die meisten Nutten inzwischen auf Crack umgestiegen waren.
    Ich richtete mich auf und öffnete die Schiebetüren zu meinem Büro, das zur Straßenseite hin lag. Ich machte Licht und suchte eine Telefonnummer heraus.
    »René … ich bin’s, Max.«
    »Ich hoffe, es ist was Ernsteres als eine Grippe!«
    »Ja, ich habe eine verletzte junge Frau in meiner Wohnung.«
    Ich hörte, wie er schnaubte. »Wilde Spielchen oder was?«
    »René, ich habe das Mädchen vor ein paar Minuten auf dem Bürgersteig vor meinem Haus aufgelesen. Bitte tu mir den Gefallen und komm vorbei, du wohnst doch nur zwei Straßen weiter.«
    Ich ging zurück ins Nebenzimmer, holte eine Spülschüssel aus dem Schränkchen unter der Anrichte, ließ Wasser einlaufen und nahm ein sauberes Handtuch. Das Mädchen rührte sich nicht, als ich begann, ihr mit dem nassen Handtuchzipfel das Blut von der Schläfe und aus den Haaren zu wischen. Ihre Augen waren geschlossen, und sie schien bewusstlos zu sein, reagierte jedoch mit einem gequälten Gesichtsausdruck, als ich die Wunde betupfte.
    Ich versuchte, die Kordel von ihrem Handgelenk zu lösen. Sie umklammerte die Beuteltasche und fuhr mich an: »Pfoten weg!«
    »Ich wollte nur wissen, wer du bist.« Ich sah, wie die Knöchel ihrer Hand, mit der sie die Tasche umklammert hielt, weiß hervortraten. »Wie heißt du?«
    Sie tat, als würde sie wieder das Bewusstsein verlieren, doch meiner Meinung nach konnte eine Bewusstlose weder eine Tasche festhalten noch sich beim Läuten einer Türklingel erschrecken.
    »Der Arzt«, sagte ich. »Keine Angst.«
    René Masson war mager und sein blondes Haar wies zu viel Grau auf für einen Mann von kaum vierzig Jahren. Ich hatte ihn irgendwann einmal wegen einer hartnäckigen Grippe aufgesucht und später wegen diverser Schrammen, Beulen und gequetschter Rippen. René war ein gutmütiger Kerl, den man rasch ins Herz schloss. Er liebte Krimis, und ich vermutete, dass er insgeheim von dem perfekten Einbruch träumte.
    »Du hast sie auf dem Bürgersteig vor deinem Haus gefunden?« Er klappte auf dem Couchtisch seinen Arztkoffer auf und beugte sich zu seiner Patientin hinunter. »So, junge Frau …«
    Das Mädchen fuhr zurück, als er ihre Locken mit den Fingerspitzen teilte, um die Wunde zu inspizieren. »Die Treppe runtergefallen, was? Sieht schlimmer aus, als es ist, ich brauche die Stelle noch nicht mal zu rasieren.« Er nahm Watte und ein Fläschchen zur Hand und begann, die Wunde zu desinfizieren. Das Mädchen zog eine Grimasse wegen der brennenden Flüssigkeit und hielt die Augen fest geschlossen.
    »Wo tut’s dir sonst noch weh?«, fragte René.
    Sie lag einen Moment lang still da, als denke sie über eine geistreiche Antwort nach. »Fuck you«, sagte sie dann.
    »Ich werde mich hüten«, antwortete René. »Wie heißt du?«
    »Tif.«
    »Tiffany?«, fragte ich.
    Sie öffnete die Augen und schaute mich an. Dann schloss sie die Lider wieder, als sei das Offenhalten eine zu große körperliche Anstrengung für sie. René betrachtete die Innenseite ihres Arms und nickte viel sagend.
    »Wie bist du hierher gekommen?« Er tupfte Jod auf die Schrammen oberhalb des zerrissenen Pullovers.
    »Mit dem Auto, okay? Und
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