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Tiffany

Tiffany

Titel: Tiffany
Autoren: Felix Thijssen
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wegzuspülen. »Für zwei Fuffis kann er’s mit mir machen.«
    »Ich werde schon impotent, wenn ich dich nur angucke«, erwiderte ich, schroffer als beabsichtigt.
    Sie warf mir einen hasserfüllten Blick zu, ließ sich aber von René aufhelfen. Ich kam ihm zu Hilfe, als sie an ihn gelehnt in sich zusammenzusacken drohte.
    Sie von beiden Seiten stützend, schleppten wir das Mädchen in mein Schlafzimmer. René hielt sie fest, während ich mein Buch vom Nachtschränkchen nahm und die Bettdecke geradezog und aufschlug. Ich hielt es für sinnvoller, die Bettwäsche erst zu wechseln, nachdem sie wieder weg war. Ich holte ein Nachthemd aus dem Schrank, das Marga zurückgelassen hatte, und hielt es hoch. Es sah mehrere Kilometer zu groß für sie aus.
    »Muss ich dafür die Beine breit machen?«, fragte Tif.
    Ich bekam allmählich genug von diesem Gör. Ich öffnete die Tür zum Badezimmer und sagte: »Du kannst die Badewanne oder die Dusche benutzen. Ich bin keine Krankenschwester, also sieh selber zu, dass du nicht ersäufst.«
    »Na, na«, sagte René.
    Ich hatte mein Jackett über eine Stuhllehne gehängt und war aus meinen Schuhen geschlüpft. Sehr bequem war das Sofa nicht. Ich versuchte zu lesen, aber meine Schultern schmerzten und ich konnte mich nicht konzentrieren. Ich warf das Buch auf die Erde und schaltete das Licht aus.
    An Schlaf war nicht zu denken. Ich versuchte, auf andere Gedanken zu kommen, doch meine Aufmerksamkeit wurde von dem Lichtspalt unter meiner Schlafzimmertür abgelenkt. Crackabhängige stürben manchmal ganz plötzlich und unerwartet, hatte Bart erzählt. Doch René meinte, Tif sei nicht crackabhängig. Ich hörte keinen Laut. Vielleicht genoss sie es, in einem bequemen Bett zu liegen und zu schlafen.
    Das Sofa knarzte, als ich aufstand und auf Socken zu dem Lichtspalt schlich. Vorsichtig öffnete ich die Tür. Alle Lampen brannten, ein Wasserhahn tropfte hörbar, und auf meinem Bett lag ein Bündel. Ich roch den penetranten Rosenduft ihres Parfüms.
    Ich drehte den Hahn im Badezimmer zu und schloss das Arzneischränkchen, das sie offensichtlich durchwühlt hatte. Es befand sich nichts Wichtiges darin, nichts Gefährliches, ich brauchte niemals Schlaftabletten. Aspirin, Medikamente gegen Schnupfen, Halsentzündung und Grippe, ein Jahr alte Ohrentropfen, Salbe gegen die Quetschungen und Blutergüsse, die mir ein paar Grobiane verpasst hatten, ebenfalls vor einem Jahr, Pflaster, ein Fieberthermometer. Ich schaltete das Licht aus und schloss die Badezimmertür. Tiffanys Kleider lagen auf und neben dem Bett verteilt. Ihre Tasche war nirgends zu sehen, wahrscheinlich klammerte sie sich noch im Schlaf daran fest.
    Ich schaute sie an. Sie atmete. In dem zu großen Nachthemd, halb unter der Bettdecke verborgen, sah sie aus wie ein Kind, das sich bei einem wilden Räuber-und-Gendarm-Spiel Schrammen und blaue Flecke geholt hatte. Die harte Fassade war wie weggewischt, von den Wellen des Schlafs geglättet. Sie hatte sich flüchtig gewaschen, und durch die Reste von billiger Wimperntusche und verschmiertem Lidschatten sah sie aus wie ein Clown. Sie war nur noch Mitleid erregend. Man vergaß das Heroin und die Tatsache, dass sie eine Prostituierte war und sah nur noch ein mageres Gesichtchen. Eine Hand lag zu ihrem Gesicht hin gebogen, der Daumen nahe am Mund. Ich betrachtete dieses unschuldige Bild. Der Schlaf gab ihr auch ihr wahres Alter zurück; sie wirkte jung und verletzlich. Sie hätte meine Tochter sein können, ein Kind noch. Sie war irgendjemandes Tochter, ein Wesen, das man beschützen wollte, aber nicht konnte. Sie war, was Zehntausende andere auch waren.
    Sie rührte sich nicht, als ich ihr die Bettdecke über die Schulter zog. Ich hob ihre Kleider vom Fußboden auf und legte sie auf einen Stuhl. Ich löschte alle Lichter bis auf ein Nachttischlämpchen. Vielleicht hatte sie Angst im Dunkeln.
    Ich wollte gerade im Wohnzimmer Licht machen, als ich auf den Jalousien in meinem Büro den Widerschein von Blaulicht erkannte. Ich ging hinüber, zog die Lamellen auseinander und spähte hindurch. Vor dem Haus schräg gegenüber stand ein Polizeifahrzeug.
    Ich zog mein Jackett und meine Schuhe an und ging auf die andere Straßenseite. Ich wusste nicht, wer meine Nachbarn von gegenüber waren; in dieser Straße waren die alteingesessenen Bewohner wahrscheinlich die Einzigen, die sich untereinander kannten. Eine Frau im Morgenmantel stand händeringend im Licht der offenen Haustür. Sie war so groß und
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