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Tiere essen

Tiere essen

Titel: Tiere essen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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um Gegensätze wie Wunsch und Verstand, Fakt und Mythos und sogar Mensch und Tier.
    Das System der Massentierhaltung wird eines Tages an seiner absurden wirtschaftlichen Praxis zugrunde gehen. Es ist absolut unhaltbar. Irgendwann wird die Erde Massentierhaltungsbetriebe abschütteln wie ein Hund Flöhe; die Frage ist nur, ob wir dann auch abgeschüttelt werden.
    Über das Essen von Tieren nachzudenken, besonders öffentlich, setzt ungeahnte Kräfte frei. Das Thema ist aufgeladen wie wenig andere. Aus gewisser Sicht ist Fleisch nur ein weiteres Konsumgut und damit genauso wichtig wie der Konsum von Papierservietten oder Geländewagen – nur in größerem Ausmaß. Aber nehmen Sie mal an Thanksgiving andere Servietten – tun Sie es ruhig mit einer großen Geste und einem Vortrag über die Unmoral von dem und dem Serviettenhersteller –, Sie werden damit wohl kaum jemanden hinter dem Ofen hervorlocken. Wenn Sie dagegen ein vegetarisches Thanksgiving zur Diskussion stellen, dann werden Sie problemlos entschiedene Meinungen provozieren – sehr entschiedene Meinungen. Das Thema Tiere essen schlägt Saiten an, die tief in unserer Selbst wahrnehmung nachhallen – unseren Erinnerungen, Wünschen und Werten. Dieser Nachhall ist potenziell kontrovers, potenziell bedrohlich, potenziell anregend, aber immer bedeutungsvoll. Essen ist wichtig, und Tiere sind wichtig, und das Essen von Tieren ist noch wichtiger. Die Frage, ob wir Tiere essen, entspringt letztlich unserem Streben nach einem Ideal, das wir, vielleicht fälschlicherweise, »Mensch sein« nennen.

6.
Das erste Thanksgiving seiner Kindheit
    WOFÜR SAGE ICH AN THANKSGIVING EIGENTLICH DANK? Als Kind war das erste Korn, das ich auf den Tisch legte, ein sym bolischer Dank für meine Gesundheit und die meiner Familie. Eine seltsame Wahl für ein Kind. Vielleicht erwuchs diese Empfindung aus dem fehlenden Familienstammbaum, oder sie war eine Reaktion auf das Mantra meiner Großmutter: »Du siehst blass aus« – das unwillkürlich wie ein Vorwurf klang, so in etwa: »Du siehst blass aus, iss mal was.« Was auch immer der Grund war, für mich war Gesundheit schon als kleines Kind nichts, worauf ich mich verlassen konnte. (Es lag nicht nur am Geld und am Prestige, dass so viele Kinder und Enkel von Überlebenden Ärzte wurden.) Das nächste Korn stand für mein Glück. Das nächste für meine Angehörigen – meine unmittelbare Familie natürlich, aber auch meine Freunde. Und dafür stünden auch heute meine ersten drei Körner – für Gesundheit, Glück, Familie und Freunde. Aber ich danke nicht mehr nur für meine Gesundheit, mein Glück, meine Familie und Freunde. Vielleicht wird sich das ändern, wenn mein Sohn alt genug ist, um an dem Ritual teilzunehmen. Fürs Erste jedoch danke ich für ihn, durch ihn und in seinem Namen.
    Wie können wir an Thanksgiving diese besondere Form von Dankbarkeit zum Ausdruck bringen? Durch welche Rituale und Symbole ließe sich die Wertschätzung von Gesundheit, Glück und Familie ausdrücken?
    Wir feiern zusammen, und das ergibt Sinn. Und wir kommen nicht nur zusammen, wir essen. Das war nicht immer so. Die Regierung dachte ursprünglich daran, Thanksgiving als Fastentag zu deklarieren, so wurde er auch über Jahrzehnte hinweg oft gesehen. Laut Benjamin Franklin, der für mich so etwas wie ein Schutzpatron des Feiertags ist, war es »ein Farmer mit gesundem Menschenverstand«, der sagte, ein festliches Essen »sei der Dankbarkeit zuträglicher«. Die Stimme dieses Farmers, der wohl als Double für Franklin selbst diente, steht heute für die Überzeugung eines ganzen Landes.
    Das Produzieren und Essen unserer eigenen Nahrung machte uns historisch betrachtet in unterschiedlicher Weise zu Amerikanern. Während andere Kolonien zum Überleben riesige Importe brauchten, waren die ersten amerikanischen Einwanderer dank der Hilfe der amerikanischen Ureinwohner fast gänzlich Selbstversorger und nicht von europäischen Mächten abhängig. Nahrung ist weniger ein Symbol für Freiheit als vielmehr ihre Voraussetzung. Um diese Tatsache zu würdigen, essen wir in Amerika zu Thanksgiving heimische Nahrungsmittel. In vielerlei Hinsicht ist Thanksgiving der Ausgangspunkt für das ausgesprochen amerikanische Ideal ethischen Konsumverhaltens. Das Thanksgiving-Mahl ist der Beginn des amerikanischen Verbraucherbewusstseins.
    Aber was ist mit dem Essen, an dem wir uns laben? Sollten wir es wirklich essen?
    Von den 45 Millionen Truthähnen, die auf unseren
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