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Tiere essen

Tiere essen

Titel: Tiere essen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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eine gute Idee, über das eigene Essen zu entscheiden, ohne sich zu entscheiden und wie alle anderen zu essen. Heute zu essen wie alle anderen, heißt, ein Tropfen zu sein, der das Fass irgendwann zum Überlaufen bringt. Unser Tropfen ist vielleicht nicht der entscheidende, aber der Akt wird wiederholt – jeden Tag in unserem Leben und vielleicht jeden Tag im Leben unserer Kinder und Kindeskinder …
    Die Sitzverteilung und die Portionen am globalen Tisch, von dem wir alle essen, ändern sich. Die zwei Chinesen haben viermal so viel Fleisch auf ihrem Teller wie noch vor mehreren Jahrzehnten – und der Haufen wird noch höher. Unterdessen beäugen die zwei Menschen am Tisch, die kein sauberes Trinkwasser haben, die Chinesen misstrauisch. Tierische Produkte machen heute nur 16 Prozent der chinesischen Nahrung aus, aber die Massentierhaltung ist für über 50 Prozent des chinesischen Wasserverbrauchs verantwortlich – und das zu einer Zeit, wo der Wassermangel in China bereits weltweit Grund zur Sorge gibt. Die verzweifelte Person an unserem Tisch, die sich anstrengen muss, um genügend zu essen zu bekommen, sorgt sich berechtigterweise vielleicht noch mehr darum, ob der weltweite Trend zum Fleischessen im amerikanischen Stil die für ihn oder sie lebensnotwendigen Getreide noch weiter reduziert.
    Mehr Fleisch bedeutet größere Nachfrage nach Getreide und mehr Hände, die sich darum streiten. Um das Jahr 2050 herum werden Nutztiere genauso viel Nahrung verzehren wie vier Milliarden Menschen. Die derzeitige Entwicklung legt nahe, dass aus der einen hungernden Person an unserem Tisch leicht zwei werden könnten (jeden Tag kommen 270 000 hungernde Menschen hinzu). Das wird so gut wie sicher passieren, genauso wie die Übergewichtigen noch einen weiteren Platz erhalten. Man kann sich leicht eine Zukunft vorstellen, in der die meisten Plätze am globalen Tisch entweder von übergewichtigen oder unterernährten Menschen besetzt sind.
    Doch es muss nicht so sein. Der beste Grund für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ist die Tatsache, dass wir wissen, wie schlimm die Zukunft sein könnte.
    Rational gesehen ist die Massentierhaltung in vielerlei Hinsicht ganz offensichtlich falsch. In allen Büchern, die ich gelesen, und allen Gesprächen, die ich geführt habe, konnte ich nichts Überzeugendes finden, was dafür gesprochen hätte. Aber Essen ist nicht rational. Essen ist Kultur, Gewohnheit und Identität. Bei einigen führt diese Irrationalität zu einer Art Resignation. Nahrungsentscheidungen werden mit Modeentscheidungen oder Lebensstilpräferenzen verglichen – sie haben nichts mehr damit zu tun, wie man eigentlich leben sollte. Ich stimme zu, dass das komplexe Thema Nahrung und die beinahe endlosen Folgen, die sich daraus ergeben, die Frage des Essens – und besonders des Essens von Tieren – äußerst bedeutungsschwer machen. Ich habe mit Aktivisten gesprochen, die ständig verblüfft und frustriert waren, weil es keine Übereinstimmung zwischen gesundem Menschenverstand und der Essensentscheidung gibt. Ich kann das nachempfinden, aber ich frage mich doch, ob man nicht gerade bei dieser Irrationalität von Essen ansetzen sollte.
    Essen ist nie nur ein schlichtes Abwägen, welche Kost am wenigsten Wasser verbraucht oder am wenigsten Leid verursacht. Darin liegt vielleicht die größte Hoffnung, um uns zu motivieren, uns zu ändern. Einerseits zwingt uns die Massentierhaltung dazu, unser Gewissen zu unterdrücken, um unsere Gelüste zu befriedigen. Aber auf einer anderen Ebene kann unsere Befähigung, die Massentierhaltung abzulehnen, genau das sein, was wir am meisten wollen.
    Das Debakel der Massentierhaltung ist nicht nur, wie ich glaube, eine Frage der Unwissenheit – ist nicht, wie Aktivisten oft sagen, ein Problem, das entstanden ist, weil »Menschen die Fakten nicht kennen«. Sicher ist das ein Grund. Ich habe dieses Buch mit ziemlich vielen Fakten bestückt, weil sie ein notwendiger Ausgangspunkt sind. Und ich habe die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Folgen unserer täglichen Essensentscheidung dargestellt, denn auch das ist sehr wichtig. Das soll nicht heißen, dass wir uns nicht in vielerlei Hinsicht von unserer Vernunft leiten lassen sollen, sondern schlicht, dass Mensch sein, menschlich sein, mehr ist als eine Übung des Verstands. Auf die Massentierhaltung zu reagieren erfordert über reines Informiertsein hinaus die Fähigkeit zu sagen: »das geht mich etwas an«, und dabei geht es auch
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