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Tiere essen

Tiere essen

Titel: Tiere essen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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unseren Verstand aktivierten, sobald wir uns zum Essen an den Tisch setzen, wenn wir die moralische Fantasie und den pragmatischen Willen aufbrächten, unser Essverhalten grundlegend zu ändern? Tolstoi behauptete, dass zwischen Schlachthöfen und Schlachtfeldern eine Verbindung bestehe. Gut, wir führen keine Kriege, weil wir Fleisch essen, und manche Kriege sollten durchaus geführt werden – nebenbei gesagt, Hitler war angeblich Vegetarier. Aber Mitgefühl ist ein Muskel, der mit dem Gebrauch stärker wird, und wenn wir regelmäßig trainieren würden, uns für Freundlichkeit statt Grausamkeit zu entscheiden, würden wir uns verändern.
    Es klingt vielleicht naiv zu sagen, dass die Entscheidung, ob man eine Geflügelfrikadelle oder einen vegetarischen Burger bestellt, absolut wichtig ist. Andererseits hätte es sicherlich ebenso utopisch geklungen, wenn uns jemand in den 1950ern gesagt hätte, dass man mit der Platzwahl in einem Restaurant oder Bus beginnen könne, den Rassismus zu beenden. Und ebenso utopisch hätte es geklungen, wenn jemand in den frühen 1970ern, noch vor César Chávez’ Engagement für die Rechte der Landarbeiter, gesagt hätte, dass der Verzicht auf Weintrauben die Landarbeiter aus sklavenähnlichen Verhältnissen befreien könne. Es mag utopisch klingen, aber wenn wir uns die Mühe machen und uns umsehen, können wir nicht leugnen, dass wir mit unseren täglichen Entscheidungen die Welt gestalten. Als die ersten Siedler Amerikas die Boston Teaparty beschlossen, wurden derart starke Kräfte freigesetzt, dass daraus eine Nation entstand. Die Entscheidung, was wir essen (und was wir über Bord werfen), ist die Grundlage für Produktion und Konsum und bestimmt alle weiteren Schritte. Ob wir Pflanzen oder Fleisch wählen, Massentierbetrieb oder bäuerlichen Familienbetrieb, verändert allein noch nicht die Welt, wohl aber, wenn wir uns, unseren Kindern, unserer Umgebung und unserem Land beibringen, dem Gewissen zu folgen und nicht der Bequemlichkeit. Eine der besten Gelegenheiten, unsere Werte zu leben – oder sie zu verraten –, liegt in dem Essen, das wir uns auf den Teller häufen. Und wir leben oder verraten unsere Werte nicht nur als Individuen, sondern als Nationen.
    Wir haben wichtigere Vermächtnisse als das Streben nach billigen Produkten. Martin Luther King jr. schrieb leidenschaftlich über die Zeit, »in der man eine Position einnehmen muss, die weder sicher noch politisch, noch opportun ist«. Manchmalmuss man einfach eine Entscheidung treffen, weil »das Gewissen einem sagt, dass sie richtig ist«. Diese berühmten Worte von King und die Bemühungen von Chávez’ United Farm Workers sind auch unser Vermächtnis. Vielleicht möchten wir gern sagen, dass solche Bewegungen für soziale Gerechtigkeit nichts mit den Zuständen in der Massentierhaltung zu tun haben. Die Unterdrückung von Menschen ist kein Tiermissbrauch. Kings und Chávez’ Sorge galt dem Leid der Menschheit, nicht dem Leid der Tiere oder der globalen Erwärmung. Schön und gut. Über den impliziten Vergleich, der mit der Nennung der beiden einhergeht, kann man sich natürlich streiten oder sogar ärgern, aber es lohnt sich, zur Kenntnis zu nehmen, dass César Chávez und Kings Frau Coretta Scott King Veganer waren, ebenso wie Kings Sohn Dexter. Wir legen das Erbe von Chávez und King – das Erbe Amerikas – zu eng aus, wenn wir von vornherein ausschließen, dass ihre Worte nicht auch als Stellungnahme gegen das Unterdrückungssystem der Massentierhaltung zu verstehen sind.

5.
Der globale Tisch
    WENN SIE DAS NÄCHSTE MAL ETWAS ESSEN , stellen Sie sich vor, dass neun weitere Personen mit Ihnen am Tisch sitzen und dass Sie zusammen alle Menschen auf dem Planeten vertreten. Nach Staaten geordnet sind zwei Ihrer Tischgenossen Chinesen, zwei Inder, und ein fünfter vertritt alle anderen Länder in Nordost-, Süd-und Zentralasien. Ein sechster vertritt die Staaten Südostasiens und Ozeanien. Ein siebter Afrika südlich der Sahara und ein achter den Rest Afrikas und den Nahen Osten. Ein neunter vertritt Europa. Der verbleibende Platz, der die Länder Süd-, Zentral- und Nordamerika repräsentiert, ist für Sie.
    Würden die Plätze nach Muttersprachen vergeben, hätten nur die chinesisch Sprechenden einen eigenen Vertreter. Alle Englisch-und Spanischsprachler müssten sich einen Stuhl teilen.
    Nach Religion geordnet sind drei Personen Christen, zwei Muslime, und drei gehören dem Buddhismus, traditionellen
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