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Tier zuliebe

Titel: Tier zuliebe
Autoren: Birgit Klaus
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verpflichtet sind, auf immer munter weiter Tiere zu töten und zu essen, wie das manch ein ideologischer Fleischesser gerne hätte, ist eindeutig. Heute brauchen wir kein Fleisch mehr, weder um uns weiterzuentwickeln noch zum Überleben. Wir können uns frei entscheiden. Und leider entscheiden wir uns oft dazu, das Leid vieler Tiere einfach zu ignorieren – das klingt angesichts der Wichtigkeit der Empathie in unserer Vorgeschichte wie ein Rückschritt.
    Gleichzeitig kann die Empathie im Umgang mit Tieren auch bizarre Formen annehmen. Ich denke an eine mir bekannte ältere Dame, eine Dackelbesitzerin, die ihren Hund derart verwöhnt, dass ich mich richtig abgestoßen fühle. Vom Feinkost-Hundefutter über das schicke Wintermäntelchen bis zum Schlafplätzchen mit Deckchen auf dem Sofa. Nichts ist zu gut oder zu teuer für den Dackel.
    Wie geht es zusammen, dass jemand wie die ältere Dame ihren Hund behandelt wie ein geliebtes Kind, aber gerne auch ein »Stück« Fleisch verspeist, ohne zweimal darüber nachzudenken, was es einmal war, ob dieses Tier ein geschundenes Dasein in einem Mastbetrieb führte, bevor es möglicherweise unter Schmerzen geschlachtet wurde, um möglichst günstig auf dem Teller zu landen? Es ist paradox.

Vom Geheimnis der Spiegelneuronen
    Von hundert gebildeten und feinfühlenden Menschen würden schon heute wahrscheinlich neunzig nie mehr Fleisch essen, wenn sie selbst das Tier erschlagen oder erstechen müssten, das sie verzehren.
    (Bertha von Suttner)
    Es ist früher Nachmittag und ich sehe mit meiner Freundin M. einen Filmausschnitt, in dem eine Kuh friedlich auf einer saftigen Weide liegt und in die Kamera blinzelt. Das Gesicht der Kuh ist kurz in einer Nahaufnahme zu sehen und sie wirkt äußerst zufrieden mit sich und der Welt. Doch M., die übrigens keine Vegetarierin ist, sieht nur die Kennzeichnungsmarke im Ohr der Kuh und ruft aufgebracht: »Ach nein! Warum muss man denen so einen Knopf ins Ohr machen? Das tut bestimmt weh!«
    Ein klarer Fall von aktiven Spiegelneuronen, denke ich. Diese Wunderzellen in unserem Gehirn machen Empathie für uns erst möglich. Sie lassen uns vermutete Schmerzen, in diesem Fall die der Kuh, nachempfinden. Durch die Spiegelneuronen fühlen wir mit, was unser Gegenüber fühlt. Oder im Falle der Kennzeichnungsmarke im Ohr: irgendwann mal gefühlt haben könnte. Entdeckt wurden die Spiegelneuronen erst Mitte der 1990er Jahre – in einem Versuchslabor der Universität Parma. Dort forschte Giacomo Rizzolatti mit seinem Team an Affengehirnen. Er pflanzte den Tieren Elektroden ein, um zu sehen, welche Nervenzellen reagieren, sobald eines der verkabelten Äffchen nach einer Nuss greift. Und da entdeckte er die Sensation: Einzelne Zellen feuerten immer, egal, ob die Tiere selbst nach der Nuss griffen oder ob sie einen Mitarbeiter dabei einfach nur beobachteten. Die Nervenzellen mit der Doppelfunktion schienen das Gesehene im Gehirn also zu »spiegeln« – daher der Name »Spiegelneuronen«.
    Mit diesen Spiegelneuronen kommen wir Menschen zur Welt. Sie lassen uns zusammenzucken und selbst Schmerzen empfinden, wenn wir zum Beispiel beobachten, dass jemand sich mit dem Brotmesser schneidet oder sich den Kopf anstößt. Männer haben übrigens im Durchschnitt etwas weniger davon als Frauen, aber grundsätzlich sind diese Nervenzellen bei uns allen immer aktiv, wenn auch mal mehr, mal weniger. Warum also, frage ich mich, melden sich nun diese tollen Dinger nicht, wenn wir Fleisch beim Metzger kaufen? Wenn sogar die Form des Tieres noch erkennbar ist wie bei einem geköpften Brathähnchen oder einem gehäuteten Hasen? Selbst wenn wir ein komplettes Spanferkel am Spieß über dem Feuer rotieren sehen oder eine tote Gans stopfen, scheinen die Spiegelneuronen – bei den meisten Menschen – zu »schlafen«.
    Ich habe zwar noch nie eine Gans gestopft, aber ich kann mich erinnern, dass ich beim Anblick eines Suppenhuhns immerhin dachte, dass der kleine, weiße Körper, der da tot vor mir lag, jämmerlich gedemütigt wirkte. Trotzdem: Hätte mir ein solches Huhn wirklich leidgetan, hätte ich es vermutlich nicht essen können. Stattdessen konnte ich diese Gedanken ganz schnell wegpacken und zuschlagen. Wieso geht das? Warum feuern keine Spiegelneuronen im Gehirn, wenn wir ein »Stück« Fleisch in die Pfanne werfen? Fragen, die Professor Joachim Bauer von der Uniklinik Freiburg mir beantworten kann. Der Wissenschaftler, Arzt und Psychotherapeut ist dem Geheimnis der
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