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Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Titel: Thennberg oder Versuch einer Heimkehr
Autoren: Gyoergy Sebestyen
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Formen von nebulosem Weltschmerz ablehnen und allen Experimenten, die sich seiner Meinung nach im Sprachspiel erschöpften, skeptisch gegenüber stehen – eine Überbetonung der eigenen Befindlichkeit war ihm lästig. Und für die Verherrlichung des Irrationalen – was er für das Irrationale hielt – hatte er gar nichts übrig. Seiner Bemerkung, dass ihm das alles „unwesentlich“ und „sonderbar blass“ angesichts des Massenmordes erschiene, ist fast nichts mehr hinzuzufügen, außer: Er bekämpfte solche literarischen Übungen nicht, sondern ignorierte sie oder gestatte ihnen hin und wieder einen Auftritt in einem der von ihm geleiteten Foren.
    II. Sprache schafft Wirklichkeit

    In persönlichen Gesprächen wurde György Sebestyén nicht müde zu behaupten, dass die Aufgabe des Schriftstellers darin bestehe, mit den Mitteln der Literatur Wirklichkeit zu schaffen. Allerdings vertrat er weder einen naiven Begriff von „Wirklichkeit“ noch von Literatur oder vom Schreiben. In einem Artikel zitiert ihn Helga Blaschek-Hahn: „Schreiben ist immer ein Prozess, in dem verschiedeneElemente sowohl thematisch als auch bezüglich der psychischen Arbeit zusammenwirken, zum Beispiel der Schmerz über das Vergehen der Zeit und über das Unwiederbringliche der Dinge, an die wir uns erinnern. Das ist ein Gefühl, weniger ein Erkennen: ein sanftes Gefühl der Verzweiflung […]. Dann ist es die Erkenntnis, dass das persönliche Schicksal in irgendeiner Form miteingewoben ist in ein System von Verbindungen und aus ihm nicht heraus kann, beziehungsweise: wenn es heraus kann, ist auch der dabei vollzogene Bruch eine Folge dieses Systems. Dazu kommt eine Mischung von Empfindungen und Erkenntnis: das Staunen darüber, wie dünn die Grenzlinie ist zwischen Fiktion und Wirklichkeitswahrnehmung, auf der wir uns ständig bewegen.“ Selbstverständlich war György Sebestyén bewusst, dass es sich stets um nicht abgeschlossene Vorgänge handelt. Das eigene Leben ist ein (dünner?) Fluss, dessen Länge niemand kennt. Doch während jedes Atemzugs in diesem Fluss werden Bilder sichtbar, die das eigene Bewusstsein reflektiert. In diesem Modell der Wechselwirkungen von Spiegelungen und Widerspiegelungen muss die eigene Identität stets etwas Offenes bleiben, was zur Notwendigkeit führt, den eigenen Standpunkt immer wieder neu zu überdenken bzw. zu bedenken. Sebestyén nannte in Gesprächen gerne den Grundsatz: Die Gestaltung des persönlichen Schicksals muss einem zur Pflicht werden und das Erkennen derselben ist die Grundlage der Freiheit. Und nur in dieser kann Literatur entstehen.
    Seinen persönlichen Schreibprozess hat er bereitwillig geschildert, wenn er danach gefragt wurde. Zuerst erfolgt dieBeschäftigung mit einem Thema, dann entsteht der Wunsch daraus etwas zu machen. Danach gilt es mit der Sprache zu arbeiten und sich dieser zu überlassen. „Die Sätze schreiben sich selbst.“ Wenn man sich der Sprache überlässt, befreit man durch sie die in der Phantasie vorhandenen Bilder, Gedanken und Empfindungen, die wiederum zur Sprache werden. Das Abenteuer besteht darin, dass man selbst nicht weiß, wie die Sätze ausgehen. Der gesamte Schreibprozess geschieht nicht ohne das Wollen, aber auch nicht durch das Diktat des Wollens.
    III. Die Fragilität des Begriffs „Heimat“

    „Es geht […] nicht um ein besonderes Verhältnis zur Heimat, sondern um ein besonderes Verhältnis zu jenen Dingen, die uns zum Klingen bringen wie Kindheitserinnerungen und wie Sehnsucht. Dann ist es vielleicht Sehnsucht nach dieser Heimat, wobei man viel konkreter werden müsste, es ist ja nie im Allgemeinen die Heimat, das glauben nur die Schwärmer, sondern es ist die Erinnerung an ein Glas Milch, das wir mit vier Jahren von der Großmama bekommen haben, oder die Erinnerung an ein Aufwachen in einem Frühling beim Herausschauen durch das Fenster. Es sind kleine Erinnerungen, die sich dann der nicht wirklich präzise denkende Mensch zur Heimat verdichtet“, stellte György Sebestyén auf dem zu ihm abgehaltenen Symposium in Kairo im Jahr 1982 fest.
    Aus solch einer Feststellung wird klar, dass er sich weder in seiner ersten Heimatstadt Budapest verwurzelt fühlte, noch in seiner zweiten Wien. Diese Stadt sah er nie losgelöst von ihrer geographischen Lage, sodass er Niederösterreich und Burgenland stets in seine Überlegungen mit einschloss und, von dieser geographischen Region ausgehend, den gesamten Donauraum beachtete. Augenfälligster Beweis
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