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Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Titel: Thennberg oder Versuch einer Heimkehr
Autoren: Gyoergy Sebestyen
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Güte.
Undurchdringlich ist diese Nebelwand,
nur manchmal durchzuckt von blutigem Schein.
Dahinter vernimmst du tönendes Erz,
klingende Schellen und Terrorgeräusche.

    Michael Guttenbrunner ging konsequent bis zu seinem Tod den Weg der Empörung, das Umschlagen von Kultur in Barbarei nie vergessend. György Sebestyén empörte sich nicht – Empörung entsprach nicht seinem Charakter –, sondern kompensierte die seelischen Wunden, die ihm geschlagen worden waren, durch eine Lebenskraft und Betriebsamkeit, die ihresgleichen suchen. Wenn der Vergleich der Seele mit einer Kerze, die rasch kleiner wird, weil sie an beiden Seiten brennt, seine Berechtigung hat, dann bei ihm. Er selbst beschrieb die soziokulturellen und politischen Prägephasen seines Charakters mit folgenden Worten:
    „Ichwar in jenen Tagen noch ein Kind, noch nicht fünfzehn, aber auch meine Generation hat das große Morden miterlebt und dieses entsetzliche Bangen, das uns später keine andere Wahl ließ als die eine: Gegen jede Art von Terror vorzugehen und dem Tod durch gesteigerte Vitalität zu begegnen, durch den Versuch, das Sein auch in der Literatur zu vermehren und das Leben zu schreiben, zu bauen, zu schildern, dieses Leben, das uns damals doch noch belassen worden war. An diesem Punkt liegt, so glaube ich, die Ursache für unsere Schwierigkeiten in der Verständigung mit einer nächsten, vielleicht nicht glücklicheren, aber durch das Nazi-Erlebnis nicht geprägten literarischen Generation, hier liegt der Grund dafür, dass wir unfähig sind, den Terror in seinen neuen Verkleidungen und pseudophilosophischen Verfeinerungen zu erdulden oder als ein besonderes Phänomen der Sozialpathologie unvoreingenommen, ja mit einem gewissen ästhetischen Vergnügen zu betrachten, hier finden wir die Erklärung dafür, dass wir dem sicherlich vergnüglichen und auch geistig fruchtbaren Sprachspiel, dem bloßen Experiment, der Verherrlichung des Irrationalen nicht die notwendige Aufmerksamkeit schenken können, denn alles wirkt unwesentlich und sonderbar blass angesichts jenes Massenmordes, und wo wir eine Gefahr für das freie, einfache Leben wittern, treibt uns ein Reflex auf die geistigen Barrikaden. Vielleicht sind wir krank, deshalb bleibt ein Rest Unaussprechbares in unseren Gesprächen mit den Gesunden, vielleicht sind unsere Instinkte überreizt und durch das Erlebte und Erlittene geschärft. Aber die Sehnsucht nach Verständigung lässt uns nicht wünschen, die Jüngeren mögen das große Morden in einer neuen Variation ebenfalls erleben. Vielleicht könnten wir nachher leichter miteinander reden – in einer Sprache der Toten, während über unseren Schädeln die Mörder wohlig lächelnd ihr Tagwerk verrichten.“
    Der 1930 in Budapest geborene György Sebestyén kam 1956 als einer von tausenden Flüchtlingen nach Österreich. Er prägte, wie schon vorhin angedeutet, die kulturelle Landschaft mit und führte, wie sich an seinem Beispiel exemplarisch ausführen ließe, alle populistischen und Angst machenden Diskussionen ad absurdum, in denen behauptet wird, die Alpenrepublik könne auf Zuwanderer ruhig verzichten. György Sebestyén war ein sprachgewandter, umfassend gebildeter Autor, der durch Feuilletons und Anekdoten bereitwillig jene Lehren weitergab, die ihm das Leben gelehrt hatte. Sicherlich gehört zu den prägendsten Ereignissen seine Enttäuschung über die totalitäre Entwicklung, die das kommunistische Regime in Ungarn nahm. Erst waren es die einsetzenden Deportationen ab 1949, damals noch als Nacht- und Nebelaktionen durchgeführt, die in ihm Zweifel an einer humanen Entwicklung in seinem Land weckten. Dann zeigte ihm die stalinistische Säuberungswelle, die ab 1952 das gesamte Land überrollte, was brutale Machtausübung tatsächlich bedeutet. Gleichsam als Notwehr wurde er zum Mitbegründer des Petöfi-Kreises, aus dem der Ungarnaufstand von 1956 erwuchs. Nach der brutalen Niederschlagung des Aufstands verließ György Sebestyén seine Heimat. Nie mehr vergaß er diese Eindrücke. „Man hat uns getäuscht“, schrieb er, „missbraucht, verlacht und zwischendurchimmer wieder hingerichtet. Ja, hingerichtet, und wir leben dennoch; das erste Mal und auch das zweite Mal sind wir klüger als die Mörder gewesen, schlauer und also auch in gewissem Sinne stärker, aber wir tragen unsere Hinrichtung in uns als Traum, als Trauma, als Maß aller Dinge.“
    Die Gräuel, die von Menschen an Menschen verübt worden sind, ließen ihn alle
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