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The Lost

Titel: The Lost
Autoren: Jack Ketchum
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gehört, in Europa legen sich die Leute alle nackt in die Sonne, und Freundinnen spazieren Arm in Arm durch die Straßen. Manche Mädchen drücken sich in der Öffentlichkeit sogar hin und wieder einen Kuss auf die Lippen. Vielleicht kommen die beiden ja aus Europa.«
    Fast hätte er losgeprustet.
    »Tim, du bist echt bescheuert. Aus Europa?«
    »Na, man kann ja nie wissen, oder?«
    »Die Brünette jedenfalls kommt nicht aus Europa. Die ist so amerikanisch wie warmer Apfelkuchen. Außerdem hat sie Geld. Also, was meinst du? Abknallen oder durchficken?«
    »Mann, Ray!«
    Er grinste und zuckte die Achseln. »Man sollte sich immer klarmachen, welche Möglichkeiten man hat, Timmy. Das sollte man nie vergessen.«

    »Um Gottes willen, du bist doch eine wunderschöne Frau«, hatte Elise zu ihr gesagt. »Zum Teufel mit Phillip. Du wirst einen viel, viel Besseren finden, wart’s ab.« Und dann hatte sie ihr übers Haar gestrichen und sie kurz auf den Mund geküsst.
    Diese Art von Gute-Nacht-Kuss hatten sie sich schon als kleine Mädchen gegeben, wenn es Zeit war, ins Bett zu gehen. Ein kurzes aufmunterndes Küsschen unter besten Freundinnen, wenn die eine bei der anderen übernachtete.
    Und ein bisschen Aufmunterung konnte sie im Moment gut gebrauchen.
    Die Sonne und das kühle klare Seewasser hatten ihr gutgetan. Sogar die Würstchen mit Bohnen hatten ihr gutgetan. Sie hatte einfach das Bedürfnis gehabt, mal für einen Tag aus Short Hills rauszukommen, und Elise war diejenige gewesen, die das begriffen hatte. Natürlich Elise, wer sonst? Von ihnen beiden war Elise die Starke und Selbstsichere, diejenige, die die Dinge in die Hand nahm. Auch wenn man ihr das kaum zutraute, so zierlich und zerbrechlich, wie sie wirkte, und mit ihren lustig gekräuselten feuerroten Haaren.
    Sie verputzte den Rest des Hotdogs und wischte sich mit der Serviette den Mund ab.
    »Ich wünschte, ich könnte ihn jetzt wenigstens richtig hassen, verstehst du?«, sagte sie.
    »Ja, das wär schön. Ich sag dir was: Wie wär’s, wenn ich ihn für dich hasse?«
    Sie lächelte. »Das tust du doch schon.«
    Elise warf einen Zweig ins Feuer. »Schau, Lisa. Du hast dich in einen gut aussehenden Kerl verknallt, der eine glänzende rote Corvette fährt und dich mit seiner Mitleidstour um den Finger gewickelt hat, außerdem war Frühling. Okay. Und dann findest du heraus, dass sich hinter dem charmanten Lächeln und der Ich-armer-Kerl-hatte-so-eine-schwere-Kindheit-Nummer ein fieses versoffenes Arschloch verbirgt. Ein Kerl, der ständig auf Studentenpartys abhängt und sich bis zum Anschlag mit Bier volllaufen lässt und der, wenn er betrunken ist, Leute verprügelt. Vor allem Schwächere. Vor allem Frauen. Wie kann man so einen Mistkerl nicht hassen?«
    »Ich weiß. Das Problem ist, dass es ihm hinterher immer wahnsinnig leidtut.«
    »Ja und? Er hat dich schon zweimal geschlagen, Lisa. Und in diesem Fall glaube ich nicht, dass drei eine magische Zahl ist.«
    »Auch das weiß ich.«
    So war es schon immer zwischen ihnen gewesen. Als Elise ins Nachbarhaus gezogen war, war sie sieben und Lisa gerade acht geworden. Doch von Beginn an war Elise diejenige gewesen, die den klareren Blick auf die Dinge hatte. So hatte sie zum Beispiel erkannt, dass ihre beiden Väter sich auf dem Golfplatz weitaus wohler fühlten als zu Hause beim sonntäglichen Abendessen. Und dass sie und Lisa eher Vorzeigeobjekte waren als Wunschkinder. Und dass sie niemals Brüder oder Schwestern haben würden.
    Ihre Eltern verkehrten in ganz unterschiedlichen Kreisen; Lisas waren russisch-jüdische Liberale, die einige Jahre zuvor aus Manhattan fortgezogen waren, und Elises Eltern waren strenggläubige irische Katholiken aus Baltimore. Trotzdem hatte niemand etwas dagegen gehabt, dass die beiden Mädchen einander mehr oder weniger adoptierten. Und das hatten sie dann auch getan. Die beiden waren unzertrennlich. Sie übernachteten abwechselnd fast jedes Wochenende beieinander, im Sommer auch unter der Woche, und so ging es die gesamte Schulzeit hindurch. Sie stritten kaum, und wenn, dann vertrugen sie sich rasch wieder.
    Es war, als hätte jedes der Mädchen die Schwester gefunden, nach der es sich so gesehnt hatte. Und als Lisa sich mühsam durch die Pubertät kämpfte und Elise wie auf Flügeln durch diese Phase zu schweben schien, vergaben sie einander bereitwillig all die Macken, die sie neuerdings entwickelten.
    Elise und Lisa. Lisa und Elise.
    Schon ihre Namen klangen wie die von
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