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The Lost

Titel: The Lost
Autoren: Jack Ketchum
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Schwestern.
    Nach der Highschool schrieben sie sich auf dem gleichen College ein: Wellesley. Und sorgten dafür, dass sie sich ein Zimmer teilten. Lisas Hauptfach war Pädagogik, Elises Betriebswirtschaft. Trotzdem hatten sie immer noch viele gemeinsame Interessen. Sie mochten die Beatles, Bob Dylan und Judy Collins – obwohl Elise meinte, der Sängerin mangele es an Gespür für Ironie. Ironie, sagte sie, sei genau das Quäntchen Wissen, das die Katze dem Hund voraushabe. Als sie sich einen Kater anschafften, nannten sie ihn Dylan.
    Sie mochten Julia Child und Betty Friedan, Helen Gurley Brown dagegen überhaupt nicht. Nie hätte man eine von ihnen in einem Oben-ohne-Badeanzug von Rudi Gernreich zu Gesicht bekommen, obwohl sich beide wohl in ihrem Körper fühlten. Sie hatten einander von Kindesbeinen an nackt gesehen. Und natürlich waren sie keine Jungfrauen mehr.
    Außerdem zogen sie sich beide gerne an abgeschiedene Orte zurück und genossen das einfache Leben.
    So wie hier. Zelten im Wald.
    Der Ausflug zum Turners Pool war das dritte Mal, dass sie diesen Sommer aufs Land gefahren waren, doch zum ersten Mal taten sie es nicht nur zum Vergnügen.
    Der Grund dafür war Phillip. Er war zum Problem geworden.
    Lisa erschlug eine Mücke.
    »Hoffentlich fressen die uns heute Nacht nicht bei lebendigem Leib auf«, sagte sie.
    »Ich habe Mückenspray dabei.«
    »Gut.«
    Sie warf den Pappteller ins Feuer und beobachtete, wie er sich an den Rändern aufrollte und in der Mitte verkohlte.
    Plötzlich merkte sie, dass sie die Stirn runzelte. Das entging auch Elise nicht. Sie sah, wie ihre Freundin sich seufzend gegen die Eiche lehnte und anfing, mit ihren langen schlanken Fingern die Rinde vom Stamm zu pulen.
    »Selbst wenn er dich nicht geschlagen hätte, hätte es mit euch beiden nicht geklappt. Das weißt du ganz genau.«
    »Kann schon sein.«
    »Kann sein? Erinnerst du dich noch an Johnny Norman, damals auf der Highschool? Genau der gleiche Typ, Lisa. Gutaussehend und wahnsinnig beliebt und dermaßen von sich eingenommen, dass du ihn nach – was? –, nach zwei Monaten nicht mehr ertragen konntest. Der einzige Unterschied war, dass er nicht ausflippte, wenn er trank. Und er hat immer mehr getrunken, als er vertragen konnte.«
    »Du hast Recht. Ich kapier’s nicht. Warum tue ich mir das immer wieder an?«
    »Hey, so was passiert halt, wenn man sich mit Männern einlässt, es gibt jede Menge solcher Typen. Du bist vielleicht nur etwas zu mitfühlend, und das haben sie ausgenutzt – na und? Was willst du jetzt machen? Dich nicht mehr verlieben? Aufhören, dich mit Männern zu treffen? Vertrocknen wie dieses arme verdörrte Gras hier? Du tust genau das Richtige. Bloß noch nicht mit dem Richtigen, das ist alles.«
    Lisa spürte, dass sie kurz davor war, in Tränen auszubrechen. Sie wollte nicht wieder losheulen wegen dieses Kerls; das hatte sie Elise schon oft genug angetan. Aber sie hatte immer noch das Bild vor Augen, wie er sie an jenem Abend mit hochrotem Kopf und gebleckten Zähnen angebrüllt hatte: Halt’s Maul, halt’s Maul! Und dann hatte er die rechte Hand zur Faust geballt und zugeschlagen. Und hinterher hatte sie gespürt, dass sie ihn immer noch liebte, diesen Scheißkerl, und bereit war, ihm zu verzeihen.
    Elise breitete die Arme aus.
    »Ach, komm mal her.«
    Lisa rutschte rüber, schlang die Arme um Elise und ließ sich von den Tränen überwältigen; sie schluchzte nicht nur, wie beim letzten Mal, sondern ließ den Tränen freien Lauf, so dass sie auf Elises gelbes T-Shirt tropften. Sie spürte die Finger ihrer Freundin im Haar, hörte das Knistern des Feuers, das Zirpen der Grillen im Gras, die quakenden Frösche unten am See.
    »Du bist, wie du bist«, sagte Elise. »Nämlich ganz normal. Ich meine, wir alle machen Fehler. In unserem Alter, wer macht da keine Fehler? Aber nicht alle Typen sind Arschlöcher. Wir werden schon welche finden, an denen es nichts auszusetzen gibt. Wart’s ab.«
    Lisa spürte, wie etwas von hinten gegen ihre Schulter prallte. Eine Eichel von ganz oben, dachte sie, aus dem Baum. Doch sie wusste sofort, dass etwas nicht stimmte, dass der Gegenstand (was immer es war) sie viel zu hart getroffen hatte, und dann hörte sie plötzlich das Knacken, als wäre jemand im Unterholz auf einen Zweig getreten, noch spürte sie allerdings keinen Schmerz, da war nur der Schreck über das Geräusch, das mit der Welt nicht im Einklang zu sein schien. Doch das Geräusch und die plötzliche
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