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The Forest - Wald der tausend Augen

Titel: The Forest - Wald der tausend Augen
Autoren: Carrie Ryan
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würde ich aus dem Boden rauswachsen, und dann bekomme ich einen Stoß in den Rücken. Plötzlich befinde ich mich auf allen vieren an der frischen Luft. Tannennadeln
piken mir in die Handflächen. Ich höre Vögel, spüre trockenes Gras unter meinen nackten Füßen und bin orientierungslos – völlig durcheinander -, bis das erste Stöhnen anhebt. Das Geräusch schwillt an und ab in meinem Inneren, es ist zu nah, zu laut, zu bedrohlich dicht dran.
    Instinktiv springe ich auf, dann ducke ich mich, gehe mit ausgestreckten Händen in Verteidigungshaltung. Ich wirbele links herum, dann rechts, meine Umgebung verschwimmt vor meinen Augen. Hektisch drehe ich mich wieder zu dem Loch um, aus dem ich geklettert bin, will zurück in die Sicherheit des unterirdischen Ganges, doch Schwester Tabitha versperrt mir den Weg.
    »Was machst du mit mir?«, brülle ich. Meine Stimme ist rau und kratzig vor Angst, die Worte bleiben mir fast im Hals stecken, ich schnappe nach Luft, taste den Boden ab. Meine Finger suchen einen Stock oder eine Waffe oder ich weiß nicht was, indessen wird das Stöhnen lauter. Und dann höre ich ein bekanntes Rasseln. So klingt es, wenn die Ungeweihten am Zaun rütteln.
    Als ich mich umschaue, stelle ich fest, dass ich fern vom Dorf auf einer kleinen Lichtung herausgekommen bin. Sie wird von einem Zaun umschlossen, der doppelt so hoch ist wie ich. Die Ungeweihten beginnen, sich um mich zu scharen. Zwei Schritte, ganz gleich in welche Richtung, und sie könnten mich durch den Maschendraht hindurch berühren. Das Blut hämmert durch meinen Körper, Panik trübt meinen Blick und meine Hände zittern und zucken im Takt meines Herzens.

    Ich versuche, in alle Richtungen gleichzeitig zu schauen. Und dann streckt Schwester Tabitha die Hand aus, ein Finger reckt sich aus ihrer schwarzen Kutte und zeigt an mir vorbei auf die Bäume. Ich hatte das Tor nicht gesehen, aber es ist da, dasselbe komplizierte System von Toren, das wir im Dorf verwenden, um jemanden in den Wald zu verbannen. Schwester Tabitha muss nichts weiter tun, als an einem Seil ziehen, das in ihrer Reichweite auf dem Boden liegt. Das Tor wird aufgehen, sie und die anderen Schwestern werden sich in ihren geheimen Gang zurückziehen und ich werde den Ungeweihten allein gegenüberstehen.
    »Was machst du da?«, will ich schreien, aber meine Stimme ist zu schwach, zu belegt. »Warum tust du mir das an?«, keuche ich nach Luft ringend. Die Ungeweihten sind so nah. Wohin ich mich auch wende, überall sind sie ganz wild auf mich, winden sich und pressen sich an die Zäune.
    Tränen rollen mir aus den Augen, tropfen mir vom Kinn. »Bitte«, flüstere ich, lasse mich wieder auf alle viere fallen und krieche auf Schwester Tabitha zu, deren schwarze Kutte ich packe. »Bitte, lass mich nicht hier zurück.« Ich bin wie ein Kind, das seine Mutter anbettelt.
    »Man hat immer eine Wahl, Mary«, sagt Schwester Tabitha, die mit den Füßen gegen die Stufen gestemmt dasteht, die untere Hälfte ihres Körpers ist immer noch unter der Erde verborgen. »Das ist es, was uns zu Menschen macht, was uns von denen unterscheidet.«
    Ich schaue ihr ins Gesicht, bemühe mich, einen Weg zu finden, dies hier zu beenden. Ihre Wangen sind rot von der frischen Luft und ihrem Eifer. In ihren Augenwinkeln
sieht man Fältchen, wie Relikte aus alten Zeiten, so als ob sie einst, lang ist es her, gewusst hat, wie man lächelt.
    Meine Schultern fallen nach vorn. Ich knie vor Schwester Tabitha nieder, mein Kopf sinkt mutlos auf die Brust. Ich kann nichts machen. Gar nichts.
    Sie legt mir beide Hände auf den Kopf. »Es ist wichtig für dich, das zu wissen, Mary«, sagt sie. »Wenn du dich entschließt, eine von uns zu werden, musst du verstehen, welche Bedeutung die Wahl hat, die du triffst. Den Eintritt in die Schwesternschaft darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen.«
    Ich halte den Blick gesenkt und starre auf das triste Herbstlaub, als ich nicke. Mein Körper zittert und ich bekomme das Zucken der Muskeln nicht unter Kontrolle. Um mich herum krallen sich die Ungeweihten verzweifelt an die Zäune. Sie können mich hier drinnen riechen.
    »Ich muss hören, wie du es sagst, Mary.« Ihre Hand fährt mir durchs Haar, und ich kann nur an meine Mutter denken und an die Wahl, die sie getroffen hat.
    »Ich wähle, der Schwesternschaft beizutreten«, sage ich zu ihr. Ich will nichts als weg von dieser Lichtung.
    »Gut«, sagt Schwester Tabitha. Ihre Hand gleitet von meinem Kopf zu einer
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