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Teuflische Stiche

Teuflische Stiche

Titel: Teuflische Stiche
Autoren: Manfred Brüning
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sie angefangen, die Bettler und Wohnungslosen aufzusuchen und ihnen Beistand zu leisten, und darin ihre Lebensaufgabe gefunden, die sie außerdem noch fit und fröhlich sein ließ.
    Von ihren beiden Kindern bekam sie keine Unterstützung. »Du wirfst die Pension und die Ersparnisse von Papa in ein Fass ohne Boden«, warfen sie ihrer Mutter vor. Sie argumentierten, sie solle doch einmal vernünftig überlegen, was es denn bringe, Kraft und Zeit und Geld an diese Leute zu verschwenden. Waren Sohn und Tochter ärgerlich erregt, dann sprachen sie von Pennern und Gesindel, denen ihr Erbe hinterhergeschmissen werde. Genauso sinnvoll sei es, alles gleich ins Klo zu werfen und abzuziehen.
    Die schöne Gertrud scherte das nicht.
    Sie zog jeden Morgen ihre farbenfrohen Kleider an, schminkte sich rosa Apfelbäckchen, zog die Augenbrauen kräftig nach und trug feuerroten Lippenstift auf. Eine bunte Holzperlenkette im Ausschnitt und eine andere um den rechten Arm gewickelt, bei Wind ein farbiges Tuch, um die braunen Locken zu bändigen, und schon sauste sie mit ihrem Saab 900T in die Stadt und parkte bei ihrer Schwester in der Moltkestraße hinterm Haus. Im Sommer fuhr sie mit offenem Verdeck und im Winter mit dicken Handschuhen und Wollschal, denn die Heizung ihres Autos funktionierte nicht mehr richtig. Selbst zwischen den Menschen in Fußgängerzonen rauchte sie filterlose Zigaretten in einer langen Ebenholzspitze. Ihre knallrot lackierten Fingernägel glänzten dann an den abgespreizten Fingern.
    Es kümmerte sie nicht, wenn man hinter ihr hersah, süffisant lächelte oder Bemerkungen darüber machte, dass sich eine Frau ihres Alters nicht so auffällig kleiden und herausfordernd benehmen sollte. Sie kannte die halbe Stadt, besonders die bessere Gesellschaft Oldenburgs, aus Zeiten, als ihr Mann ein gefragter Arzt der Oberschicht war. Und jetzt kannte die halbe Stadt sie als die schöne Gertrud. Wie der Lappan, das Schloss und die Lambertikirche das Stadtbild prägten, so gehörte auch sie zu den Sehenswürdigkeiten in den Fußgängerzonen.

    ***

    Die linke Faust stützte sein Kinn. Adi Konnert blätterte routinemäßig die Protokollseiten um. Eine Selbsttötung im Holter Moor. Er bemühte sich um Konzentration. Hin und wieder unterstrich er ein paar Wörter oder machte sich Notizen auf einem Block mit karierten DIN-A4-Blättern. Polizeiarbeit ist zu achtzig Prozent Schreibtischarbeit, hatte er einmal gelesen. Ihm kam es so vor, als säße er seit Wochen nur noch am Schreibtisch.
    Er überlegte, sich einen Kaffee mit Milch und Zucker zu holen. Ließ es aber, weil es schon der vierte Becher an diesem Nachmittag gewesen wäre. In seinem Alter und so unsportlich, wie er war, konnte er sich über ein leichtes Übergewicht wohl nicht beschweren, aber dick wollte er nicht werden.
    Er zog eine Schublade seines Schreibtisches auf. Sauber aufgereiht lehnten verschiedene Pfeifen an einem hölzernen Ständer. Eine in Goldfolie eingeschlagene Bibel lag griffbereit neben Tabak und Pfeifenputzern. Er wählte eine glatte Vauen Ascot und begann, sie zu stopfen. Als Erster Kriminalhauptkommissar der Polizeiinspektion Oldenburg erlaubte er sich, in seinem Büro zu rauchen. Diesmal aber verschwand die Pfeife in seiner linken Sakkotasche. Für später. Tabakkrümel blieben unter seinen Fingernägeln hängen.
    »Selbsttötung«, murmelte er. »Warum setzen Menschen ihrem Leben ein Ende?« Seine verstorbene Frau hätte so gern weitergelebt. Und andere mögen nicht mehr auf der Welt bleiben. Menschen sind merkwürdige Geschöpfe. Und nach einem Augenblick brummte er: »Ich auch.«

    Konnerts Telefon läutete.
    »Hier unten ist die schöne Gertrud. Sie will unbedingt mit dem Kriminalhauptkommissar Adolf Konnert sprechen. Ausdrücklich nur mit ihm und mit keinem anderen.«
    Konnert hatte die schöne Gertrud noch nie getroffen, aber er wusste, wer sie war, schließlich war sie stadtbekannt. »Ich komme runter.«
    Wie kann sie meinen vollen Vornamen kennen? Und woher weiß sie, welchen Dienstgrad ich habe, überlegte Konnert im Fahrstuhl. Merken sich das Leute, wenn sie das mal in der Zeitung lesen? Und wie spreche ich sie an? Schöne Gertrud kann ich doch nicht zu ihr sagen.
    Der Diensthabende betätigte den Türöffner der Zugangsschleuse.
    Konnert zeigte der Frau im Foyer ein verlegenes Lächeln. Er streckte seine Hand aus. Sie wurde von ihren sehnigen Fingern fest umschlossen und festgehalten. »Ich bin Gertrud Bulken, in Oldenburg besser bekannt
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