Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Teufelsleib

Titel: Teufelsleib
Autoren: Andreas Franz
Vom Netzwerk:
die kälteste Person, der ich je begegnet bin. Aber ich bin ihr Sohn. Vielleicht habe ich etwas ausgeführt, was sie gerne getan hätte. Diese Frage habe ich mir oft gestellt.«
    »Sie meinen, Ihre Mutter wäre auch zu einem Mord fähig?«
    »In Gedanken bestimmt. Aber sie würde sich nie eine Blöße geben. Als junge Frau war sie eine Hure, später das genaue Gegenteil. Die fromme Kirchgängerin, die den Armen und Bedürftigen hilft. Was glauben Sie, warum Juliane und Thomas noch nicht verheiratet sind? Sie haben ja nicht mal einen Freund oder eine Freundin. Fragen Sie sie. Und sprechen Sie mit meiner Mutter und beobachten Sie sie dabei.«
    »Ich fahre sowieso gleich hin. Nur noch eine Frage: Warum haben Sie bei Frau Schubert und Frau Maurer so unglaublich brutal und grausam gehandelt?«
    »Es hat sich so ergeben. Vielleicht war ich wütender als sonst. Keine Ahnung.«
    »Und Anika Zeidler? Sie wurde von ihren Eltern zuletzt am 3. März letzten Jahres gesehen. Am 5. März haben sie sie vermisst gemeldet. Ihre Leiche wurde aber erst am 8. März gefunden. Wo war sie in der Zwischenzeit?«
    »In dem Haus, in dem auch meine Mutter und Juliane waren. Aber ich konnte sie ja nicht dort lassen.«
    »Was haben Sie in den ganzen Tagen mit ihr gemacht?«
    »Ist das jetzt noch wichtig? Ich glaube nicht. Stellen Sie sich irgendetwas vor, aber es war nicht so schlimm, wie Sie vielleicht denken.«
    »Das war’s erst mal, obwohl ich noch viel mehr Fragen hätte. Vielleicht stelle ich sie noch irgendwann, und vielleicht bekomme ich dann auch die Antworten.«
    »Vielleicht«, antwortete Neuendorf lächelnd. »Vielleicht aber auch nicht. Dieses Leben ist ein Spiel, die einen gewinnen, die andern verlieren. Was glauben Sie, wer hat in meinem Spiel gewonnen? Sie?«
    »Was …«
    »Ich möchte nun wieder allein sein.«
    Brandt ließ Neuendorf zurück in seine Zelle bringen und fuhr anschließend mit Elvira Klein zu Familie Trautmann.
    Es war ein ernüchternder Besuch. Lediglich Juliane war bereit, länger mit den Beamten zu sprechen, während ihr Bruder und ihre Eltern nur die nötigsten Fragen beantworteten. Eine eisige Kälte herrschte im Haus, und Brandt war froh, als er wieder gehen konnte.
    Auf der Fahrt zurück ins Präsidium sagte Elvira nur: »Und ich dachte schon, meine Familie wäre kaputt. Ich will nie so leben müssen und schon gar nicht so enden. Versprichst du mir, dass wir nie so leben werden?«
    »Ich werde mein Bestes tun. Dazu gehören aber zwei.«
    »Ich weiß. Ich werde auch mein Bestes geben. Und jetzt werde ich mir auch noch mal kurz Neuendorf vornehmen.«
    Während Elvira sich Neuendorf ins Vernehmungszimmer bringen ließ, ging Brandt zu Spitzer, um zu hören, ob man ihn noch brauchte, doch der schickte ihn umgehend nach Hause. Dort genehmigte er sich ein Bier, setzte sich in seinen Sessel und machte den Fernseher an. Er schlief ein und wurde erst geweckt, als am späten Nachmittag erst Sarah und kurz darauf Michelle heimkamen. Und noch später kam Elvira. Sie blieb die Nacht über bei ihm und gab ihm die Ruhe, die er dringend brauchte. Sie sprachen nicht viel, sie verstanden sich auch ohne Worte. Und das war gut so.

Epilog
    D er Prozess gegen Johannes Neuendorf fand im Mai statt. Nach nur fünf Verhandlungstagen wurde das Urteil gefällt – lebenslang mit anschließender Sicherungsverwahrung nach Feststellung der besonderen Schwere der Schuld, auch wenn Neuendorf gleich zu Beginn des Prozesses ein umfangreiches Geständnis abgelegt hatte. Er beteuerte auch, wie leid ihm täte, was er angerichtet hatte, doch das Gericht ging nicht darauf ein. Sechs tote Frauen, zum Teil auf grausamste Weise des Lebens beraubt, sprachen eine eindeutige Sprache.
    Bereits vor dem Prozess, der ein enormes Medieninteresse geweckt hatte, hatte Neuendorf ausführlich über sein Leben berichtet, seine Adoptiveltern, seine traumatischen Erlebnisse im Waisenhaus. In den Zeitungen wurde er als Serienkiller, aber auch als Opfer dargestellt. Und es wurde gefordert, dass Waisenhäuser, ob katholisch, evangelisch oder staatlich, in Zukunft besser überwacht werden sollten. Doch jeder wusste, dass diese Forderungen nie in die Tat umgesetzt werden würden, denn die Zeit würde schon bald einen dicken Teppich über das Geschehene legen, und die Menschen würden den Fall Johannes Neuendorf schnell aus dem Gedächtnis verlieren.
    Erika Trautmann war bei dem Prozess nicht anwesend. Einzig Juliane erschien an jedem Tag im Gerichtssaal, verweigerte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher