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Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus

Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus

Titel: Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus
Autoren: Stephan Peters
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den Flaschenzug hängen, was nicht so schwierig war, denn der Bettler war klapperdürr. Lars legte ihn sich wie eine Schwarte über die Schulter, wobei ihm die Arme des Toten wie Paddel um die Hüften schwangen. Und der Aufstieg in den Kamin begann. Von oben strömte Blut über sein Gesicht. Es schmeckte nicht so gut wie das von Terry. Als er daran dachte, spürte Lars van Akkeren wieder eine Erektion. Es war ihm im Augenblick auch völlig egal, woher das Blut stammte. Er stieg weiter auf morschen Eisenklammern in den Schornstein hinein. Den Toten hatte er nach vielen  Anstrengungen mit gewaltigen Nägeln an der Innenwand des Kamins aufgehängt. Von unten beleuchtete Terry das Mauerwerk und hielt einen Scheinwerfer in die Richtung von Lars.  Er stieg höher und überall hingen Schuhe, in denen Leichen steckten. Über dieser Leiche hingen wieder Schuhe, und der Gestank war entsetzlich. Vor Angst verlor er fast den Halt an den Sprossen. Nach ungefähr zehn Stufen hatte Lars genug Leichen in verschiedenen Stadien der Auflösung gesehen. Das Schreckliche war: er kannte jedes Gesicht! Sofern man noch etwas davon erkennen konnte. Er rannte laut schreiend aus der Fabrik. Vergeblich suchte und rief er nach Terry. Lars van Akkeren wollte zum zweiten Mal in dieser Nacht zu seinem Wagen laufen. Am Kamin vorbei, die Straße hinauf. Doch stattdessen landete er nach ein paar Metern im kalten Wasser des Flusses. Zitternd hielt sich Lars an der Böschung fest und betrachtete ungläubig die Anlage. Der Schornstein stand nicht mehr da, wo er hingehörte. Nicht an der Straße, die zum Wagen führte, sondern umgekehrt, direkt am Fluss, hinter dem sich die Berge erstreckten, so, als habe sich die Architektur um 180 Grad gedreht. Der riesige fünfzackige Stern auf der Fabrik stand nun verkehrt herum. Er war ja das Symbol für Mensch. Was hatte Terry gesagt? „Zeigt das Pentagramm nach unten, macht es einen Kopfstand, bedeutet das ...“ Mit Grauen stellte van Akkeren fest, dass sich die gesamte Symmetrie der Landschaft verändert hatte. War das der achte Schaltkreis des Gehirns? Das Handy klingelte, und Lars zuckte zusammen vor Schreck.
    „Hallo, Claudia, sind Sie’s?“ Er hielt ungläubig den Hörer in der Hand und starrte in die Dunkelheit hinein. Regenbäche teilten sich und flossen wie kalte Finger über das Fenster. Hatte er das alles nur geträumt? War er nur eingeschlafen und hatte seinen Fuß keinen Meter aus dem Mercedes gesetzt? Seine Sekretärin fragte: „Lars? Was ist passiert?“ Ihre Stimme. Claudia! Lars war seit Stunden zum ersten Mal entspannt.
    „Chef!“ sagte Claudia. „Sie hören sich so fremd an. Ihre Stimme ist so hoch! Sie hören sich wie eine Frau an, o mein Gott!“
    „Claudia, ich glaube, Sie sind auch überarbeitet, oder haben zu viel getrunken. Hören Sie, ich muss für ein paar Wochen ausspannen, in letzter Zeit war alles zuviel. Seit acht Jahren hab ich keinen Urlaub genommen, und ...“
    „Lars, wovon sprechen Sie?“ Am liebsten hätte er sie jetzt an den Haaren genommen und durch den Hörer zu sich gezogen. Sprach er so undeutlich? Urlaub wollte er haben. Noch lieber hätte er Claudia gleichfalls in den Kamin gehängt. Nägel gab es ja anscheinend genug. Er blickte instinktiv in den Rückspiegel. Doch er sah anstelle seines eigenen, totenkopfähnlichen Gesichts, zwei wohl vertraute Augen mit Silberblick. Es war Terry. Er blickte sich um, aber der Sitz war leer. Lars lachte hysterisch, wobei ihm die Tränen aus den Augen liefen.
    „Ich habe gesagt, ich brauche Urlaub!“ schrie er Claudia an. „Spreche ich so undeutlich?“ Er dachte an den Kamin, in dem er seiner Sekretärin jetzt am liebsten wegen ihrer langen Leitung die Kehle durchgeschnitten. Lars war rasend vor Wut, aber auch aus Angst vor einer schrecklichen Wahrheit.
    Claudia sagte verzweifelt: „Aber das mit dem Urlaub stimmt doch gar nicht.“ Dann weinte sie. Lars lachte gequält, als ihn eine furchtbare Vorahnung überkam. Claudia kämpfte mit den Tränen und sagte: „Sie haben doch jedes Jahr Urlaub gemacht! Jedes Jahr, genau wie jetzt! Immer im September. Und nachher haben wir uns über die furchtbaren Morde unterhalten, die um diese Zeit passieren. Auch Sie waren entsetzt und sagten, dass die Verbrechen nur von einem Wahnsinnigen begangen werden können. Das ist auch die Meinung der Polizei. Haben Sie das vergessen?  Und dass Sie immer Urlaub im September nehmen.
    Im September, so wie
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